Mauerrisse samt Vorurteilen weggeputzt

■ „Arbeit und Lernen“ wurde für die Verbindung von Denkmalschutz und Arbeitsbeschaffung ausgezeichnet

Entweihung, zeterte es aus der Gemeinde. Riskant, nicht vorstellbar! Wie sollen Menschen mit Schulden oder Suchtproblemen und schon lange joblos ein Denkmal sanieren, und dann auch noch eine Kirche? Mancher Christ der English Church of St. Thomas a Becket war skeptisch, als 1991 die Arbeit und Lernen GmbH (ALH) begann, die Kirche am Zeughausmarkt zu erneuern. Mittlerweile sind Fassade und Innenraum fertig, die Zweifel verflogen, und die ALH-Mitarbeiter ausgezeichnet mit dem höchsten deutschen Denkmalschutzpreis.

Die „Silberne Halbkugel“, vergeben vom Nationalkomitee für Denkmalschutz, macht ALH-Öffentlichkeitsreferent Wilfried Büntzly stolz – nicht nur darauf, daß die Kirche fertig ist. Schließlich habe ALH den Preis für die Verbindung von Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme und Denkmalpflege bekommen. Das städtische Unternehmen beschäftigt seit 1983 Langzeitarbeitslose und bildet sie zu „denkmaltechnischen Helfern“ aus. Mit diesem Konzept hat ALH schon das Klinkerwerk des Ex-Konzentrationsslagers Neuengamme renoviert und das Alte Krematorium an der Alsterdorfer Straße erneuert.

Die Englische Kirche ist das bisher größte Sanierungsprojekt von Arbeit und Lernen. Um das Gebäude von weitem als Kirche zu erkennen, braucht es entweder neo-klassizistisches Fachwissen oder gute Augen: Der weiße Bau von 1838 hat keinen Turm, über der Tür hängt lediglich ein schmales Goldkreuz. Seit 1941 steht die Kirche unter Denkmalschutz.

Der Baustil des dänischen Architekten Ole Jörgen Schmidt „ähnelt dem der St. Pauls Cathedral in London“, erklärt Pfarrer John Newsome. Er hat eine Urkunde an der Kirchenwand aufgehängt: Nicht den deutschen Denkmalschutzpreis, aber immerhin den dritten Platz im Fassadenwettbewerb der Hamburger Gebäudereinigerinnung.

Newsome predigte während der Innensanierung auf einer Baustelle. Die Hälfte der Kirche war gefüllt mit Planen und Gerüsten. Die Bibel lag auf einem eilig gezimmerten Holzaltar, erhellt von zwei Stehleuchtern aus der ALH-Schlosserei. Zwei Jahre dauerte das Provisorium, nochmal so lange brauchte ALH für die Renovierung der Außenmauer. „Ein Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes hätte das in der Hälfte der Zeit geschafft“, räumt Wilfried Büntzly ein. Schließlich gehe es bei ALH nicht nur darum, ein Gebäude zu erneuern. Seine Mitarbeiter verbringen weniger Zeit auf der Baustelle als ihre von Privatunternehmen beschäftigten Kollegen. Sie besuchen an zwei Wochentagen Kurse in Baugeschichte, Deutsch, Mathematik und den Naturwissenschaften.

Diese Ausbildung wurde bei der Erneuerung der Englischen Kirche zum ersten Mal aus dem Portemonaie der Europäischen Union bezahlt: Der Europäische Sozialfonds hat die Weiterbildung der Arbeiter gefördert. 3,7 Millionen Mark hat es gekostet, die Mauerrisse und die Wasserschäden zu beseitigen. Die Wände wurden neu gestrichen und ein zugemauertes Fenster über dem Altar geöffnet. Vielleicht hat ALH damit auch die Sicht auf Langzeitarbeitslose erweitert. Judith Weber