piwik no script img

„Verschenkt ist es sicher nicht“

Praktischer Umweltschutz: Zum ersten Mal in Hamburg absolvieren sechs Jugendliche ein Freiwilliges Ökologisches Jahr  ■ Von Christine Andersen

Martina Joseph steht mitten im Wald. Umringt von nadeligen Weihnachtsbäumen, die Schultern hochgezogen, beide Hände in den Taschen der dicken Winterjacke versteckt, schaut sie fröstelnd über ihren Schal hinweg. Bis der nächste Kunde kommt: In der Vorweihnachtszeit hilft die 19jährige dem Förster im Niendorfer Gehege beim Verkauf von unbehandelten Fichten und Tannen: „Mir gefällt diese praktische Arbeit sehr, sie ist abwechslungsreich, und die Leute hier sind freundlich.“

Martina Joseph gehört zu den sechs Jugendlichen, die erstmals in Hamburg ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) absolvieren. Bundesweit gibt es etwa 1103 FÖJlerInnen, die sich für sechs Monate oder meistens ein Jahr engagieren. Die HamburgerInnen arbeiten seit dem 1. August in verschiedenen Bereichen der Hamburger Umweltbehörde, die die FÖJ-Stellen mit 80.000 Mark im Jahr finanziert. Martina Joseph entschied sich für das Fachamt für ökologische Forst- und Landwirtschaft.

Während ihres Öko-Jahres lernt sie in 38,5 Stunden pro Woche sowohl praktischen Umweltschutz als auch umweltbehördliche Büroarbeit kennen. „Da kam beim Kopieren schon mal Langeweile auf“, erzählt Martina, packt voller Elan die Nordmanns-Tanne und präsentiert sie dem Kunden. Ihre Hände kleben vom Harz, sind erdig und zerstochen. Warum macht sie das Ganze? Freiwillig, für 646 Mark im Monat mit 26 Urlaubstagen im Jahr? „Ich habe mich schon immer für Umweltschutz interessiert, als ich jünger war, wollte ich einen Umweltclub gründen, aber das hat nicht geklappt.“

In der 11. Klasse fiel ihr ein Info-Heft in die Hände, in dem sie zum ersten Mal über das FÖJ las. Als sie sich nach dem Abitur bewarb, reagierten einige FreundInnen ablehnend: „Zeitverschwendung“ wäre das, „alleine“ könne man „sowieso nichts erreichen“. Martina blieb unbeirrt: „Ich schickte meinen Lebenslauf, mein letztes Zeugnis und eine Begründung für mein Interesse an das Hamburger Umweltzentrum Karlshöhe.“

Über hundert Bewerbungen gingen dort ein. Aus Mangel an Einsatzstellen mußten viele interessierte Jugendliche abgewiesen werden. Waren das alles aufopfernde Öko-Freaks? Martina schüttelt heftig den Kopf: „Ich entspreche sicher nicht dem Klischee-Öki mit Wollsocken, der ohne Licht abgeschieden in einer Hütte lebt.“ Die engagierte Hamburgerin plant eine Lehre zur Werbe- oder Verlagskauffrau; Umweltschutz bleibt ihr Hobby.

Zur Zeit beweist sie ihr Talent als ökologisch-dynamische Verkäuferin. Der Kunde hat sich für eine prachtvolle Tanne entschieden. Der Baum wird gemessen, der Preis errechnet und Martina eilt zur Kasse. Sie stülpt dem Baum ein grobes Netz über die Krone, noch ein Knoten und fertig! Auch außerhalb der Weihnachtssaison gibt es für sie einiges zu tun: „Ich begleite die Forst-Ranger durch die Naturschutzgebiete, und wir passen auf, daß zum Beispiel Hunde angeleint sind, die Reitwege eingehalten werden und kein Müll abgeladen wird.“ Regelmäßig treffen sich die FÖJlerInnen aus Hamburg und Schleswig-Holstein zum Erfahrungsaustausch und zu Umweltseminaren. Martina hat festgestellt, daß „es wesentlich mehr Frauen sind, die sich für dieses freiwillige Umweltengagement entscheiden.“ Viele Männer wollen wohl nach dem Wehr- oder Ersatzdienst nicht ein weiteres Jahr verschenken.

„Verschenkt ist es sicher nicht“, meint Martina und stellt eine umgefallene Fichte an ihren Platz. „Ich merke, wie meine innere Einstellung zur Natur sich ändert und ich mehr Motivation bekomme, mich zu engagieren.“ Vielleicht doch später ein Beruf im Umweltbereich? „Zur Zeit kann ich mir das nicht vorstellen, aber vielleicht ändert sich das noch.“

Das FÖJ ist für Frauen und Männer zwischen 16 und 27 Jahren, nächster Bewerbungsschluß ist der 1. April 1997. Weitere Informationen und Bewerbungsunterlagen beim Hamburger Umweltzentrum Karlshöhe, Stichwort: FÖJ, Karlshöhe 60d, 22175 Hamburg, Fax: 640 20 93.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen