: „Die bringen mir was bei“
■ Besuch beim „Alki“-Treff im Gröpelinger Grünzug-West / Ein „Sozi“ soll helfen
Arthur S. ist hier Patron. Nur geringfügig schwankend steht der große Bärtige in der Mitte des kleinen Backsteinrondells, grüßt die Vorbeikommenden, wird zurückgegrüßt. „Wie gehts?“ rufen Gassi-GängerInnen. Eine dauergewellte Flaneurin küßt ihn auf den Mund. „Das hier ist mein Platz“, sagt Arthur S.
Gröpelingen, Grünzug West. Fast am nördlichen Ende des schmalen Parkstreifens, kurz hinter der Wischhusenstraße, kurz vor dem Oslebshauser Knast. Der Fußweg wird hier unterbrochen von einem kleinen Pflasterplatz, umrundet von sieben Bänken, nur eine davon noch mit Sitzfläche. „Das hier soll weg“, monieren die BewohnerInnen der umliegenden Häuserblocks seit Jahren. Sie meinen eigentlich nicht das Rondell, sondern die Handvoll Menschen mit Hunden, die sich hier Tag für Tag treffen und sich alkoholisiern. Sie sind ohne Arbeit oder in Rente, nicht obdachlos und haben hier ihre „Anlaufstelle“, wie Arthur S. es nennt.
Seit knapp zwei Monaten ist hier ein Neuer aufgetaucht, man nennt ihn „Spitzel“, „Sozi“ und seit einer Woche auch „Kumpel“. Er hat die Angewohnheit, ständig Kaffee zu bringen. Das tut er auch heute. Jonas Pot d'Or betreibt hier „aufsuchende Brennpunktarbeit“ und versucht, das neueste Projekt der Bremer Suchthilfe mit Leben zu füllen. Vier mal pro Woche fährt er mit dem Fahrrad durch den Grünzug, wo es vier solcher Treffpunkte gibt, die allerdings bei den derzeitigen Temperaturen oft verwaist sind.
Nur Arthur S. treibt es bei jedem Wetter raus. Wolf P. – weit über 60 – hält an dem diesigen Dezembertag mit ihm die Stellung. Den Kaffee von Jonas Pot d'Or strecken sie mit Korn. Anfangs stand er mit seiner Thermoskanne etwas hilflos da, sagt der „Sozi“ (wir vermuten „Sozialarbeiter“). Was hast du zu bieten, hätten ihn die Leute gefragt. Nichts, so der Streetworker. Bei „materieller Lebenssicherung und Sicherung des Wohnraumes“ soll er laut Akte helfen und stellte fest: „Die Leute kennen das Sozialamt im Volkshaus und die Sachbearbeiter. Die bringen mir was bei.“
Nur letzte Woche konnte Pot d'Or eine Zwangsräumung verhindern und seither weiß Arthur S., daß der Sozi sich bemüht, die oft kryptischen, verlallten Sätze des Patrons zu verstehen. Mißtrauisch ist er trotzdem noch, und auch Wolf P. mit schwarzer Pelzmütze möchte seinen Kaffee lieber bezahlen. „Wir trinken gern mal einen, schreib das auf“, sagt er unvermittelt und unwirsch.
„Die sind nett hier. Einer gab mir mal fünf Mark für einen Blumenstrauß“, erzählt eine Spaziergängerin. Nur der Dreck, der sei halt nicht so schön, aber sie haben ja auch ihre Müllbeutel. Daneben liegt ein Haufen Dosen im Gebüsch. „Wird weggeräumt“, sagt Arthur S. – Früher habe er hier auch gefegt. Nur jetzt, wo er verdächtigt wurde, die Bänke demoliert zu haben, sei ihm dies vergangen.
Maurer war er mal, aus dem Osten kommt er. Sein Alter gibt er zwischen 48 und 50 an. Die 476 Mark Miete für seine anderthalb Zimmer sichern Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. „Aber ich leb hier draußen auf der Straße, das ist besser und billiger.“
Hier weiß man immer zuerst, wer gerade Hilfe braucht. Haarschneideaktionen fanden auf dem Rondell schon statt. Sozi Tot d'Or fände es sowieso auch besser, wenn die Leute, die sich hier treffen, selbst weiter beraten und vielleicht selbst einen Arbeitslosentreff aufbauen. „Sie müßten nur ihren Hintern hochkriegen und verbindlich werden.“ Seine halbe „Stelle“ ist auf ein Jahr befristet. Seine Geldgeber – Innere Mission, sozialpsychiatrischer Dienst und die evangelische Kirchengemeinde Philippus – erhoffen sich von ihm mehr Informationen über die Menschen vom Grünzug – weil sie helfen wollen, aber den Treff nicht zementieren sollen.
Jonas Pot d'Or mußte also da hin und Arhtur S. und den anderen sagen, daß sie laut Akte eine „Problemgruppe“ sind. sip
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