„Die Callas ist der absolute Maßstab“

■ Christine Ciesinski singt die Lady Macbeth im Theater und liebt Experimente

Mit seiner ersten Shakespeare-Vertonung „Macbeth“ setzte der italienische Komponist Giuseppe Verdi 1847 sein Konzept eines realistischen Musiktheaters zum ersten Mal um. Und dies gleich in revolutionärer Konsequenz. Noch heute ist das Werk für alle Beteiligten eine Herausforderung. Dies gilt vor allem für Christine Ciesinski, die in der neuen Bremer Inszenierung von David Mouchtar-Samorai die Rolle der skrupellosen Lady Macbeth interpretiert. Kurz vor der Premiere (am Sonntag um 19.30 Uhr) erzählte die Sängerin der taz, warum.

taz: Wenn man sich Ihre Repertoireliste der letzten Jahre anschaut, so haben Sie in aller Welt die Rollen von Frauen gesungen, die ihr Eindringen in Männerwelten mit dem Tod bezahlen mußten. Ist Ihnen die Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau ein besonderes Anliegen?

Christine Ciesinski: Es stimmt, daß ich zu diesen Frauen eine unglaubliche Affinität habe. Ganz generell geht es mir um die Ambivalenz jeden Verhaltens – das Böse ist nicht nur böse – und vor allem um die explodierende Energie, die diese Frauen haben. Ich werde nur nach diesen Rollen gefragt, das ist ein Geschenk von Gott.

Wie wichtig sind für Sie Regisseure?

Da achte ich eher drauf, mit wem ich zusammenarbeite. Mir liegt daran, über Körpersprache eine Haltung, eine Position zur Rolle zu gewinnen. Das ist bei SängerInnen keineswegs selbstverständlich. Der erste, der mir das über improvisatorische Übungen vermittelt hat, war Werner Schroeter.

Verdi hat der Lady Macbeth im Verhältnis zu Shakespeare eine unvergleichlich größere Bedeutung gegeben. Ist die Lady nur machtbesessen und böse? Was passiert zwischen dem Ehepaar?

Für mich ist die Lady ein Vulkan. Bedenken Sie die Zeit: Sie konnte nicht Königin werden, also macht sie es über den Mann. Sie lebt durch ihn, und er ist ihr hörig. Ihr gemeinsamer Plan ist eine ganz intime und gemeinsame Sache.

Warum hält sie denn Ihre Machtgier nicht durch und wird wahnsinnig?

Weil er sich nach dem ersten Mord verändert. Damit verletzt er die Spielregeln der gemeinsamen Sache, und das bringt sie ins Schleudern.

Verdi hat ja in dieser Oper den traditionellen Schöngesangsbegriff revolutioniert. „Verschleierte Stimme“ und „Deklamation“ verlangt er für den Macbeth, „rauh, erstickt und hohl“ für die Lady. Was bedeutet das für Sie?

Diese Rolle kann man – mit den Erfahrungen der Musik des 20. Jahrhunderts – gar nicht schön singen. Was damals tatsächlich Musiktheaterrevolution war, ist für mich in dieser Rolle normal. Überhaupt die „schönste“ Musik ist ihre Wahnsinnsszene: Und dagegen ihr Gefühl, daß sie sich haßt. Es gibt keine Frau in der Oper, die so leidenschaftlich und so passioniert ist.

Haben Sie Vorbilder für diese Rolle?

Callas natürlich. Das klingt ein bißchen altmodisch, aber sie ist der absolute Maßstab für die Lady.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze