Allein durch die Wüste

Wer zu Weihnachten mit dem Fahrrad durch Israel fährt, sollte die Unterkunft vorbuchen. In Bethlehem ist keine Herberge mehr frei  ■ Von Roberto Hohrein

Abenteuerurlaub muß nicht immer teuer sein. Oft reicht schon der Aufbruch in fremde Länder, um ein kleines bißchen Nervenkitzel ins geregelte Leben zu bringen. Das erste zwischenmenschliche Abenteuer erlebte Hans Steier* bereits vor dem Abflug in Wien. Ohne vorherige telefonische Ankündigung hatte der Österreicher einfach sein 15 Jahre altes Dreigangfahrrad für den Urlaubsflug nach Israel mitgebracht. War das Rad nun als „legales zweites Gepäckstück“ zu betrachten und folglich kostenfrei zu transportieren, oder mußte der Pedalritter mit dem grauen Vollbart Übergewicht zahlen? Gehörte sein Vehikel in einen Fahrradkarton, hatte diesen die Fluggesellschaft bereitzustellen oder nicht? „Wenn Sie Geld möchten, sagen Sie mir bitte, wieviel. Als Urlauber bin ich gewohnt zu zahlen.“ Seine sarkastische Bemerkung beendete alle Diskussionen. Das Rad flog mit. Ohne Aufschlag und ohne Verpackung.

Genau wie Maria und Joseph wollte auch Steier mit seinem Drahtesel zu Weihnachten in Bethlehem übernachten. Obgleich der biblische „Flecken“ in der Zwischenzeit zu einem ansehnlichen Städtchen mit vielen Herbergen geworden ist, war auch für ihn an Weihnachten kein Platz mehr. Ohne Hotelbuchung an Weihnachten nach Bethlehem zu kommen, das mußte abenteuerlich enden.

Mit etwas mehr als hundert anderen Gestrandeten schlief der Österreicher schließlich auf dem harten Betonboden eines Wohnhausrohbaus, dessen Besitzer die Bauruine angesichts der vielen Herbergssuchenden per ausgehängtem Pappschild kurzerhand zum „Youth Hostel“ umfunktioniert hatte. Als Sanitäranlage fungierte ein Bretterverschlag in der Baugrube. Aus einem Schlauch gab es fließend Wasser für die Morgentoilette.

Nicht, daß der Österreicher über die Schlichtheit der Unterbringung schimpfte. Er suchte im Urlaub ja gerade nach ungewöhnlichen Erlebnissen. Ihn ärgerte nur, daß der selbsternannte Herbergsvater von jedem der dicht an dicht liegenden Schläfer für die kalte Nacht auf dem Betonboden über zehn Mark verlangte.

Der Radwanderer suchte von nun an die Weite. Auf der langen Strecke durch die Wüste zum Roten Meer würde er sicher jede Nacht genügend Platz finden für sich und sein Zelt. Aber da stand er vor einem neuen Problem. Dem der Versorgung. „Wasser bekommt man unterwegs noch rechtzeitig. Etwa alle 50 bis 100 Kilometer findet man eine Siedlung oder zumindest eine Tankstelle. Aber etwas zum Essen zu kaufen, das ist schwierig.“ So addierte er in der letzten Stadt vor der Wüste zu seinen 25 Kilo Gepäck noch etwa 10 bis 15 Pfund haltbare Versorgungsgüter der getrockneten Art. Vorwiegend Müsli und Trockenobst. Schließlich wollte er zwei Dinge erleben, die er im Alltagsleben so sehr vermißte. Er wollte sich Zeit lassen und das Alleinsein genießen.

Letzteres fand er sehr leicht. Im Winter wird es bereits um fünf Uhr dunkel und erst morgens gegen sieben wieder hell. „Jede Nacht 14 Stunden schlafen, das kann ich nicht. In den wachen Zeiten gehen einem allerhand Gedanken durch den Kopf. Und das tut mir gut.“ Ein kleiner Kurzwellenempfänger schützte ihn vor Langeweile.

Das Alleinsein allerdings mußte er sich hart erkämpfen. Die vielen freundlichen Lkw-Fahrer, die ihn unbedingt mitnehmen wollten, wurden für den Mann auf der Suche nach Solitude zum ernsten Problem. „Vier-, fünfmal am Tag mußte ich anhaltenden Lastwagenfahrern erklären, daß ich nicht aus Geldmangel so reise, sondern aus Abenteuerlust. Sie waren fast immer beleidigt, wenn ich ihnen erklärte, daß ich ihr Angebot mitzufahren zwar sehr freundlich finde, es aber nicht annehme. Einmal hatte einer sogar schon mein Rad mitsamt Gepäck auf dem Lkw verstaut, bis ich ihn überzeugen konnte, daß er mir mit seiner freundlichen Hilfe die Essenz meiner ganzen Reise zunichte macht.“

Zwei Wochen lang genoß der Steier im mit 20 bis 25 Grad wohltemperierten winterlichen Israel das Abenteuer und die Freiheit auf zwei Rädern. Dann mußte er wieder zurück. Zurück ins Leben mit Großraumbüro, mit Frau und Kindern, Enkeln und zwei Autos in jeder Familie.

*Name von der Redaktion geändert