Ewige Liebe zur Seifenblase

Die Satzung des Fanklubs „German Hammers“ verlangt den Besuch eines Spiels von West Ham United London pro Jahr – heute ist es soweit  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Gestern abend um viertel vor zwölf war es wieder mal soweit: Acht von 15 Mitgliedern der „German Hammers“ und 24 Mitfahrer versammelten sich am Düsseldorfer Hauptbahnhof zum jährlichen vorweihnachtlichen Fußballtrip auf die Insel. Ihr Ziel: London SW, Stamford Bridge, das Stadion des FC Chelsea.

Aber Maik Thesing und seine über die ganze Republik verstreuten Mitreisenden sind keine Fans der Blauen aus dem noblen West End. Sie stehen fest zu einem Klub aus dem East End – zu West Ham United.

Wie man Mitglied der German Hammers werden kann? Hinschreiben und dann die nicht ganz einfachen Bedingungen erfüllen, die an jedes Mitglied gestellt werden. Das sind 60 Mark Beitrag im Jahr, die nicht nur verbale Distanzierung von Gewalt und die unabdingbare Auflage, mindestens ein Spiel der Hammers pro Jahr live im Stadion zu verfolgen. Daß dies nicht immer gelingt, zeigt der Fall eines Österreichers. Selbst beim Traditionsspiel im Grünwalder Stadion zwischen 1860 München und West Ham United wollte der seiner Pflicht nicht genügen. Es war nur konsequent, daß er aus dem Klub ausgeschlossen wurde, weil er nie „etwas zu dessen Leben“ (offizielle Begründung) beigetragen hatte.

Die German Hammers sind nicht nur prinzipienfest, sie können auch sehr hartnäckig sein. Als Maik Thesing unlängst mit seiner Badmintonmannschaft nach Essen unterwegs war, fuhr vor ihm ein Auto mit einem Mini-Trikot des West-Ham-Spielers Julian Dicks, das auch noch die gleiche Sporthalle ansteuerte. Flugs wurde der Fahrer ausfindig gemacht, ein neues Miglied war gefunden. Und kurze Zeit später tauchte Jens aus Münster zum erstenmal im Upton Park auf. Vorbildlich!

Doch was treibt Fans, die alle auch ihre deutschen Lieblingsklubs haben, ausgerechnet in die Arme eines Vereins, der seinen besten Zeiten hinterherläuft und in den achtziger Jahren die Fahrstuhlmannschaft der englischen 1. Division war? Vielleicht ist es die Geschichte des Vereins und seine Verwurzelung im Londoner Osten, von wo 90 Prozent der Fans der Hammer kommen – die angrenzende Grafschaft Essex eingeschlossen.

Von allen Londoner Klubs in der Premier League und der 1. Division identifiziert sich West Ham United am meisten mit seiner Umgebung. Zur Gründungszeit um die Jahrhundertwende war der Vorgänger derer in „Claret and Blue“, die „Thames Ironworks“, der wichtigste Fußballverein im East End, das an Schmutz, Abgasen und Unrat schier erstickte. Einer der Gründer der gleichnamigen Schiffsbaufirma und des Vereins, Arnold F. Hills, brachte die schlimmen Zustände auf den Punkt: „Das ständige Problem West Hams [ist] seine Armut; es ist nur an Bevölkerung reich.“

Heute ist West Ham United Nations, wie Spötter den Klub neuerdings wegen seiner vielen ausländischen Spieler nennen, sogar reich an deutschen (German Hammers) und skandinavischen (Scandinavian Hammers) Fanklubs. Am 17. Dezember 1994 fuhren die deutschen Anhänger erstmals zu einem Heimspiel gegen Manchester City. Dabei sind solche Fahrten für jeden, der es etwas gediegener mag, reiner Streß: Freitag abend 23.45 Uhr ab Düsseldorf; heute 9 Uhr in London; Stadtbummel zu Sportspages; Fußball um 16 Uhr; Rückfahrt um 20 Uhr; an in Düsseldorf am Sonntagfrüh 9 Uhr. Je nach Ausgang des District-Line-Derbys gegen Ruud Gullits Team wird heute nacht im Bus eine fröhliche oder melancholische Variante des Liedes von den „bubbles“ zu hören sein. Es ist die Hymne der Hammers:

„I'm forever blowing bubbles /

pretty bubbles in the air /

they fly so high /

nearly reach the sky /

then like my dreams they fade

and die /

fortune's always hiding /

almost everywhere.“

Und die vielen Fanzines werden die Runde machen, die es rund um den Boleyn Ground in Hülle und Fülle gibt: Over land and sea, Forever blowing bubbles, On a mission from god, The water in Majorca, On the terraces oder gar die norwegischen Scandinavian bubbles.

An europäisch glanzvolle Zeiten wie in den sechziger Jahren mit den Weltmeistern Bobby Moore, Martin Peters und Geoff Hurst wollten die Hammers in dieser Saison anknüpfen. Doch an die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb ist bei 18 Punkten aus 17 Spielen und Platz 14 nicht zu denken. Mitte der Woche ist man im Coca- Cola Cup auch noch beim drittklassigen Stockport County ausgeschieden. Selbst die Verpflichtungen von Futre, Raducioiu und Dumitrescu konnten die Träume der Klubmanager noch nicht erfüllen. Paulo Futre ist inzwischen sogar Sportinvalide.

So bleibt auch den German Hammers einstweilen nur der schöne Gedanke an das Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger 1965, als West Ham United vor 100.000 Zuschauern im Wembley-Stadion 1860 München mit 2:0 schlug. Und an die Ehrung des German Hammers-„Player of the Year“ am 19. April beim Match gegen den FC Everton. Spätestens dann reisen die Deutschen wieder Richtung Upton Park.