Kalte Spuren einer tiefen Zerrüttung

■ Ein Besuch beim Ex-Mitarbeiter Vera Lengsfelds in Nordhausen/Harz: Nichts als grüne Bitternis

Hier liegt der Hund begraben“, sagt der nette Meister, der den geborstenen Verteilerfinger am Zündungssystem des alten Opel gegen einen neuen austauscht: „Zu naß, zu kalt – und zu viele Schlaglöcher.“ In Nordhausen liegt der Hund wirklich begraben, man lebt weit weg von allen Fernstraßen, Hauptbahnstrecken und Flugplätzen. Im benachbarten Sondershausen ist die neue Bundestagsabgeordnete der Union, Vera Lengsfeld, zu Hause. Und in Nordhausen, in der kopfsteingepflasterten Domstraße, saß die Abgeordnete der Bündnisgrünen, Vera Lengsfeld, einmal im Monat in ihrem Regionalbüro.

„Ich habe der Vera heute gekündigt“, sagt Manfred Dietel, der dieses Büro, das auch Sitz des Kreis- und Stadtverbandes Nordhausen der Bündnisgrünen war, als „geringfügig Beschäftigter“ leitete. Dietel ist mutig. In der Region um Nordhausen ist die Arbeitslosenquote mit 21 Prozent höher als anderswo in Thüringen. Doch für eine Bundestagsabgeordnete der CDU will der Bündnisgrüne, der Lengsfeld „persönlich freundschaftlich verbunden“ bleiben will, „ganz sicher nicht“ arbeiten.

Dietel wohnt direkt neben seinem früheren Büro. An feste Arbeitszeiten war er nicht gebunden. Wenn der Hund versorgt war, konnte er sich nebenan dem politischen Tagesgeschäft widmen: für die Bündnisgrünen in der „von Erfurt vergessenen Region“ zwischen Kyffhäuser und Harz und für die Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld. Er habe streng darauf achten müssen, nicht etwa das aus Bundesmitteln finanzierte Faxgerät von Lengsfeld für den parteiinternen Schriftverkehr zu benutzen. „Die Parteiarbeit und die Arbeit für Vera waren zwei paar Stiefel.“

Es beginnt zu schneien in Nordhausen. Es liegt etwas Melancholisches über dieser Stadt. Dietel sagt, er habe gestern mit „dem Joschka“ telefoniert. Denn das inzwischen vernagelte Büro, das dringend renoviert werden müßte, wollen sie behalten. „Der Joschka“ hat versprochen, sich darum zu kümmern. Das tröstet. Der Kreisverband allein kann das Büro nicht finanzieren. Nur rund 15 Menschen gehören ihm an. Von ihnen kann niemand begreifen, warum sich Lengsfeld ausgerechnet mit der Begründung, die Bündnisgrünen in Thüringen hätten sich gegenüber der PDS „geöffnet“, zur CDU wechselte. Gerade die CDU in Nordhausen und im Landkreis sei es doch, die mit der PDS kungele, wo es nur gehe. So haben die Christdemokraten im Kreistag erst vor Monatsfrist zusammen mit der PDS den Bau eines neuen Landratsamts beschlossen, auf Leasingbasis. Ein 100 Millionen Mark teurer Spaß pro Jahr für die SteuerzahlerInnen. Der Verhandlungspartner der Union, der amtierende PDS-Kreisvorsitzende, war vor der Wende der „Vorsitzende Rat des Kreises“ und Mitglied der SED gewesen. Der rührige Landtagsabgeordnete der CDU aus Nordhausen, Egon Otto Primas, war damals Kreisgeschäftsführer der Ost- CDU. „Alles alte Kameraden aus Vorwendezeiten“, sagt Dietel.

Die Empörung über Lengsfelds Parteiwechsel spiegelt sich in Briefen und Anrufen wider. Rund 120 Anrufe von Mitgliedern und Wählern seien in den letzten zwei Tagen bei ihm eingegangen, erzählt Dietel. Gemeinsamer Tenor: Lengsfeld müsse umgehend ihr Bundestagsmandat an die Partei zurückgeben. „Wieder um ein Enttäuschung reicher. Wozu doch der Wille zur Macht einen Menschen treiben kann“, schrieb Jutta Wehmann aus Nordhausen in einem Leserbrief an die Lokalzeitung. Der „Wähler Thomas Lange“ teilt dem Landesvorstand mit, daß er sich „von dieser Frau betrogen“ fühle. An Vera Lengsfeld schrieb er direkt: „Wenn Sie wirklich soviel Ehre besitzen, wie sie vorgeben, dann legen Sie sofort Ihr Bundestagsmandat nieder.“ Er ist sich einig mit dem grünen Kreisverband Nordhausens. Der hat Vera Lengsfeld mitgeteilt, ihr Fraktionsübertritt sei der „Abschluß inhaltlicher Differenzen“ zwischen ihr und Mitgliedern des Landesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen. Darüber hinaus sei der „Mandatsklau“ der „makabere Höhepunkt“ des Verhältnisses zwischen der früheren Bürgerrechtlerin und ihrer in Thüringen wenig populären Partei. Den Austritt von Lengsfeld aus ihrer Partei hätten sie hingenommen – den „Verrat“ an den Bündnisgrünen Nordhausens jedoch nicht. Immerhin ist allen Beteiligten klar, daß sich Lengsfeld und die Grünen nicht mehr „grün“ waren. Allzuwenig habe sich die Konvertitin um die Probleme Thüringens gekümmert. Ein Vorwurf, der auch an der Parteibasis geäußert wird.

Landesvorstandssprecher Olaf Möller, der „kleine Fischer“ Thüringens, gibt dieser Stimmung Ausdruck. Man sei es leid, immer wieder die rückwärtsgewandte Debatte um SED/PDS und Staatssicherheit führen zu müssen.

Kühl sagt Möller nun: „Nie war ein Abgang wertvoller als heute.“ Lengsfeld habe wohl gewußt, daß sie bei den Thüringer Grünen nicht abermals Kandidatin für die nächste Bundestagswahl geworden wäre. Erst vor knapp vier Wochen hatte der Landesvorstand beim Vorstand der Bundestagsfraktion angefragt, ob Lengsfeld nicht aus der Fraktion ausgeschlossen werden könne. Hintergrund: Die Abgeordnete Lengsfeld habe nicht genug Geld an den Landesverband abgeführt.

Es schneit mittlerweile heftiger in Nordhausen. Der nette Meister aus der Autowerkstatt verteilt noch Hustenbonbons. Das Klima sei rauh am Rande des Eichsfeldes, meint Manfred Dietel, einst Mitgründer der Grünen in der DDR. Er meint damit nicht nur seine eigene ungewisse berufliche Situation.

Klaus-Peter Klingelschmitt