Wir wollen Party!

Es gibt diverse Premierengänger, die freuen sich am meisten auf das Bier und den Tratsch danach. Es gibt auch einige, die sich selbst zum Theaterzirkus der Stadt zählen, die kommen überhaupt erst zur Premierenfeier, um sich dann mit merkwürdigen Gesprächsangeboten aufzudrängen. Aber in dem Gemisch aus interessanten und penetranten Menschen steckt doch eine gehörige Attrak-tion, und Premierenfeiern zählten immer zu den wichtigsten Informationsbörsen für alle, die mit dem Theater zu tun haben.

Doch seit einiger Zeit macht sich im Thalia-Theater bei dieser Tradition ein schleichender Verfall bemerkbar. Selbst nach einer gefeierten Premiere wie am Sonnabend verirren sich nur noch wenige Gäste ins Mittelrang-Foyer, einem Ort, der früher den Ruf des Thalia mitbegründete: „Auch wenn es mit dem Theater nicht immer so klappt, im Feiern sind sie Weltmeister.“ Die wenigen Gäste, die es noch hier hoch zieht, lassen meistens gleich den Mantel an, nehmen ein Getränk und gehen dann wieder, so daß immer öfter schon eine Stunde nach Vorstellungsende hier eine Katerstimmung herrscht, die für das nächste Mal gleich Abstand von dem Besuch nehmen läßt.

Ramponiert hat diese Veranstaltung wohl zweierlei: Zum einen hat sich im Hause eine Zwei-Klassen-Gesellschaft etabliert. Die Großkopferten feiern inzwischen lieber ohne das Volk im etwas exquisiteren Hausrestaurant (Pack Bo, oder so ähnlich), so daß das Sehen und Gesehen-werden am ehemaligen Premierenort doch arg leiden tut. Und zum anderen quälen einen die Theaterleute seit Jahren dort oben mit der immerselben Musik, wobei die eine Hälfte der Klangkonserven schon immer schlecht war (Sting und Konsorten) und die andere inzwischen leider vergammelt ist (US 3 zum Beispiel).

Das erinnert einen inzwischen an die musikalisch fürchterlichen Premierenfeiern zu Zeiten Bogdanovs am Schauspielhaus, wo die Musikauswahl und die Begeisterung der Tanzenden dem Außenstehenden nur das Vorurteil bestätigten, daß Theatermenschen mit Jugendkultur so wenig zu tun haben wie Bauarbeiter mit Bildhauerei. Die abgenudeltsten Evergreens weckten die Frage, ob nicht vielleicht der gesamtkulturelle Geschmack der hier Tanzenden in der Entstehungszeit dieser Schallplatten hängen geblieben ist.

Wirkliche Veränderung trat an der Kirchenallee erst in den letzten Jahren ein, als die Premierenfeiern in der Kantine von DJs geleitet wurden, die zwischen dem konservativen Musikgeschmack der Theaterleute und dem doch oft weit fortschrittlicheren ihres Publikums vermitteln konnten. Und hier gibt es dann auch keine Apartheid zwischen Champagnernasen und Bierfraktion. Das Resultat ist Bombenstimmung bis in die frühen Morgenstunden mit allem was dazugehört: Erotik, Erregung und ergreifende Gespräche. Und zwar auch, wenn es mit dem Theater nicht so geklappt hat. Vielleicht sollte auch die Thalia-Leitung sich wieder ihres ehrenhaften, alten Rufs erinnern. Till Briegleb