Ganz im Dort und Damals ...

■ ... schien sich Wolf Biermann am Freitag im Goethe-Theater am besten aufgehoben zu fühlen

Der Meister. Wie eh und je. Schnelle Läufe hinauf auf dem Griffbrett, abrupte Abstürze, dann diese Pausen, ein kleines, ein menschliches Zögern vor der nächsten Strophe, vorm nächsten Ackord, ein winziges Verharren, das die Lieder aufrauht. Das kann er, der Biermann.

Diese Stimme, schrillstes Falsett, tiefstes Brummeln, rabenschwärzestes Krächzen. Darüber die Augen, jung und immer noch auf der Suche nach dem Blick im Publikum – und wenn dann einer reagiert, dann wieder der alte Ton, wie immer von oben, wie immer von oben herab. Der Biermann war wieder da, Freitag abend im gut gefüllten Goethe-Theater.

Der Biermann, eitel, immer noch, aber längst nicht mehr so gespreizt, längst hat er es nicht mehr so bitter nötig, sein Bild und seine Bilder hundertfach im Publikum gespiegelt zu sehen. Der Biermann, weiser vielleicht, ganz bestimmt milder, älter. Mit ihm sein Publikum, älter.

Alte Bekannte saßen da beisammen, der auf der Bühne und die davor. „Rencontre a Paris“, eines der Lieder vom Freitag: Biermann in Paris, ein paar Jahre nach der Ausbürgerung wird er von einem alten Freund aus Ost-Berlin besucht. Und sie belauern sich, weit entfernt am selben Küchentisch, immer noch im selben Boot, singt er, aber längst auf verschiedenen Flüssen.

Die alten Bekannten am Freitag abend: Freundlicher Applaus für neue Lieder, erlöster Applaus für die alten. „Oma Meume“ rief es aus dem Parkett und „Du, laß Dich nicht verhärten“ vom Balkon, als es nach zweieinhalb Stunden um die Zugaben ging.

Und Biermann sang den „Hugenottenfriedhof“, sichtlich bemüht, nicht gar zu sehr abzunudeln: „Wie nah sind uns manche Tote, und wie tot sind uns manche, die leben.“ Und Biermann sang „Das kann doch nicht alles gewesen sein“.

Billiger Scherz und bitteres Unbehagen am Freitag abend im Goethe-Theater: Das kann doch nicht alles gewesen sein – war's aber. Ein Biermann mit neuen Liedern, Liebesliedern wieder, schönen, ein großer Dichter. Aber einer, der bestenfalls noch mit den dritten Zähnen zubeißen kann. Vor einem nicht minder zahnlosen Publikum, das sich aber gerne noch an die wilden, an die guten Zeiten erinnert.

„Nachts bei Freunden brüllt er offen paar Balladen in' Zigarrenrauch“, hat er gesungen. „Das macht die Männer wie besoffen und ihre schönen Frauen auch.“ Kein Lied vom Freitag abend, ein altes Lied, ein anderes Lied. Und nun wieder andere Lieder.

Im Goethe-Theater wurden keine besoffenen Männer – und auch keine angeheiterten schönen Frauen – gesichtet. Nun ist er doch noch alkoholfrei geworden, im Alter. Wo er früher hitzige Schlachten angezettelt und sich frech dazwischengeschmissen hat, da herrscht heute Zimmertemperatur. Man applaudiert im Kammerton.

Ein Biermann, immer noch bildersatt, reich genug, reichlich zu verschenken, gerade in den Liebesliedern. „Er kam mit dem Wind“, singt er zum Schluß des Programms: „Sie griff ihm im Vorübergehn ins Herz und blieb nicht einmal stehn beim letzten Kuß“. Viel, aber auch viel weniger als der Biermann, den er selbst so gerne wiederauferstehen läßt.

„Bald sah ich, daß rote Götter auch nur MenschenSchweineHunde sind. Mein Vater hat mich nicht gemacht, damit ich Lügen wiederkäu“, singt er in „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“. Wenn die alten Kämpfer sich selbst zitieren, da kann sich das Publikum gemütlich auf der richtigen Seite wähnen – und muß noch nicht einmal das Fauteuil verlassen. Ganz im Dort und Damals.

Die roten Götter sind gestürzt, die alten Feinde abhanden gekommen, mit dem Ende der Gewißheit sind die frechen Lieder Mangelware geworden. Den Gestrigen sagt er immer noch, wo es damals langging. Als die alten Bekannten ihrem Sänger ihr Wunschkonzert zuriefen, verließen viele Junge das Theater.

Als der Golfkrieg begann, da hat er sich aus alten Freunden neue Feinde gemacht. Sechs Jahre sind seitdem vergangen. Sind die Anlässe zur Einmischung geringer geworden? War da vielleicht was, in Bosnien beispielsweise?

Der große Meister Enzensberger macht sich Gedanken über Luxus und Verzicht, der große Meister Biermann singt Liebeslieder. Und ansonsten weiß er auch nicht mehr so genau.

Jochen Grabler