"Der Mensch fungiert als Dachgesellschaft"

■ Aus der Doktorarbeit des früheren Vulkan-Chefs Friedrich Hennemann / Seine 1971 erschienene Dissertation über den weltweiten Unternehmensverbund ist eine lohnenswerte und amüsante Lektüre

ins hört der gescheiterte Vulkan-Chef Friedrich Hennemann ganz und gar nicht gern: Wenn man ihn als Apotheker bezeichnet. Nach seiner Approbation machte Hennemann nämlich noch an der Universität Karlsruhe seinen Doktor der Wirtschaftswissenschaften. 1971 legte er seine Dissertation vor – „meinen Eltern“ gewidmet. Thema: Organisationsstruktur und Produktion im Ausland.

Über 180 Seiten verpackt Hennemann betriebswirtschaftliches Grundwissen in gestelzte und möglichst kompliziert klingende Sätze. Die restlichen 122 Seiten widmet der Doktorant einer Gegenüberstellung verschiedener Unternehmen, deren Tochtergesellschaften im Ausland produzieren. Hennemann vergleicht die Unterneh-mensstrukturen vom Chefsessel bis in die Werkshallen miteinander – den angekündigten „Beitrag zum Problem der aufbauorganisatorischen Eingliederung der Leitung im Ausland produzierender Tochtergesellschaften in die Hauptverwaltung eines Unternehmensverbundes“ findet er dabei offensichtlich nicht.

Trotzdem oder gerade deshalb ist die Arbeit eine lohnenswerte Lektüre: Schon im ersten Kapitel überrascht der junge Hennemann seine Leser mit einer interessanten Erkenntnis: „Ein sich rasch vermehrendes technisches Wissen kennzeichnet den gegenwärtigen Abschnitt in der Geschichte der Menschen.“ Auf diese unaufhaltsame Entwicklung müßten Unternehmen reagieren, mahnt Hennemann. Denn: Anpassung ist das dynamische Element einer Organisation. Sie ist permanent wirksam: Jede neue Stelle, ja Stellenbesetzung kann Anpassung an eine sich ändernde Umwelt bedeuten.“

Auch darauf, was überhaupt eine Arbeitsstelle ist, findet Hennemann eine Antwort: „Die Funktion begrenzt und beschreibt die Kompetenz des Funktionsträgers und bildet mit ihm zusammen die Stelle (Mit anderen Worten: Stelleninhaber + Kompetenz = Stelle, Anmerkung der Redaktion). „Stellen werden so zu Elementen, d.h. den kleinsten Einheiten der Organisationsstruktur“, schreibt Hennemann weiter. Und kommt zu einem sensationellen Schluß: Zu Stellenmehrheiten zusammengefaßt ergeben sie Gruppen, Unterabteilungen, Abteilungen, Hauptabteilungen usw.“ Hennemann kombiniert also messerscharf, daß mehrere Stellen zusammen eine Abteilung bilden. Das alleine reichte allerdings noch nicht, um aus dem Apotheker einen Wirtschaftswissenschaftler zu machen. Ungeahnte Schwierigkeiten stellen sich ihm in den Weg: „Viele der im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum häufig benutzten Begriffe entbehren des definierten, allgemeinverbindlichen Inhalts“, klagt er. Anders die Hennemannsche Arbeit: Leicht verständlich und allgemeinverbindlich, formuliert er präzise und bringt die Sachverhalte auf den Punkt. Kostprobe gefällig? „Eine Definition gilt als menschbezogen, wenn die Organisation als Beziehung zwischen Menschen und Regelung der Aufgabenverteilung auf sie definiert wird. Eine Definition gilt als sachbezogen, wenn es sich um die Organisation der sachlichen Produktionsmittel in räumlicher und zeitlicher Beziehung handelt. Als mensch-sach-bezogen gilt eine Definition dann, wenn sie beide Bereiche einbezieht.“

Auch über die Funktion der Führungsebene eines Unternehmens hat Hennemann schon damals konkrete Vorstellungen: „Die in einem Unternehmen entstehenden Aufgaben sind nicht gleichwertig“, beobachtet Hennemann. „Sie unterscheiden sich u.a. durch die Kompetenzen, deren sie zu ihrer Erfüllung bedürfen. Zur Erfüllung einer Leitungsaufgabe beispielsweise müssen dem Funktionsträger Anordnungsbefugnisse übertragen werden. (Mit anderen Worten: Verantwortliche müssen auch was zu sagen haben). „Die Ausübung dieser Anordnungsbefug-nis ist der Begriffsinhalt der Steuerung, der synonym mit dem Begriff des Entscheidung gebraucht werden kann.“ (Will heißen: Wenn jemand Anordnungen trifft, kann man auch sagen, daß er das Unternehmen steuert, indem er Entscheidungen fällt).

Seine Erkenntnisse untermauert Hennemann mit einer Skizze von H. Blohm. Prof. Dr. Ing. Hans Blohm begegnet dem aufmerksamen Leser schon auf der ersten Seite der Dissertation – als Hauptreferent. Um seine Erkenntnisse zu belegen zieht Hennemann in seiner Dissertation immer wieder die Arbeiten von Blohm heran. 21mal kommt er in Hennemanns 302seitigem Werk zu Ehren. Hennemann vergißt auch nicht zu erwähnen, wie wichtig die Theorien seines Doktorvaters sind:

„Auf die Dringlichkeit und Bedeutung des Problems ist schon früh von Blohm hingewiesen worden.“ Oder: „Die von Blohm vorgenommene Klassifizierung ... ist für die vorliegende Untersuchung ein brauchbarer Ansatz...“

Schließlich wagt Hennemann in seiner Arbeit einen Abstecher und geht auf den „Stand der deutschen Direktinvestitionen im Ausland im internationalen Vergleich“ ein: „Die beiden großen Kriege des 20. Jahrhundert hatten die Enteignung des deutschen Auslandsvermögens zur Folge. Allein der Verlust durch den Zweiten Weltkrieg wird auf 12 bis 15 Mrd. DM geschätzt, d.h. daß dieser Betrag, den Nachkriegsinvestitionen hinzugerechnet, das deutsche Auslandsvermögen verdoppeln würde“, klagt Hennemann.

Ein paar Seiten weiter formuliert der spätere Vulkan-Chef schließlich unternehmerische Ziele: „Aus der Gewinnmaximierung auf lange Sicht als übergeordneter autonomer Zielsetzung ergibt sich für die Gestaltung der Organisationsstruktur die Forderung nach Wirtschaftlichkeit...“ An dieser Stelle (Seite 86, Absatz 1) erkennt Hennemann also, daß ein Unternehmen wirtschaftlich arbeiten muß, wenn es Gewinn machen will!

Im Kapitel „Die Lernfähigkeit des Menschen als tragende Komponente der Einflußnahme“ streicht Hennemann heraus, wie wichtig die Rolle des Menschen im Unternehmen ist:

„Der Mensch als individuelle Gesamtheit bleibt in bezug auf das System – z.B. Organisation – Umwelt und kann sich mit anderen Handlungen an anderen Handlungssystemen beteiligen. (Ach so!)

Das Individuum fungiert als ,Dachgesellschaft' zur Verwaltung seiner verschiedenen Mitgliedschaften – Mitgliedschaften als Teilnahme mit unterschiedlichen Handlungen an jeweils entsprechenden Handlungssystemen.“ Der Mensch als Dachgesellschaft...

Außerdem erkennt Hennemann, daß „jede wirtschaftliche Tätigkeit an menschliches Handeln gebunden bzw. vom Menschen initiiert“ ist. Wie wahr: Ohne Mensch keine Wirtschaft.

Doch zurück zu den Köpfen des Unternehmens: „Es wird angenommen, daß es für die systemanteilige Handlungsmenge eines Leitungsfunktionsträgers eine optimale Menge systembeteiligter Handlungen gibt, die durch sie geleitet werden kann. Dies gilt mit der Einschränkung, daß das Optimum je nach Funktionsträger individuell verschieden groß sein kann.“ Interessanter Aspekt: Hennemann hat herausgefunden, daß jeder „Leitungsfunktionsträger“ individuell belastbar ist! Darüber hinaus erlaubt er sich folgenden Hinweis: „Festgestellt werden kann, daß unterschiedliche Entscheidungsarten – Routineentscheidungen, kreative Entscheidungen und Entscheidungen in Verhandlungsprozessen – unterschiedliche Strukturen erfordern.“ Wer hätte das gedacht?

Nachdem Hennemann die Grundlagen für seine Arbeit abgesteckt hat, widmet er sich ab Seite 180 dem eigentlichen Thema und vergleicht die Organisationsstrukturen verschiedener Firmen miteinander, deren Tochtergesellschaften im Ausland produzieren. Dazu hat er sich die Unternehmen genaustens angesehen, so zum Beispiel die Firma Philips:

„Die Führungsentscheidungen werden in Arbeitsgruppen getroffen, in denen neben den zuständigen Vorstandsmitgliedern der Vorstandsvorsitzende oder sein Stellvertreter mit jenen Vorstandskollegen zusammenarbeitet, deren Zuständigkeiten von der jeweiligen Entscheidung berührt werden.“ Es wird also auch jener Kollege einbezogen, der unmittelbar von der Entscheidung betroffen ist. Doch nicht nur das ist dem Doktoranden aufgefallen:

Die dem Vorstand unmittelbar unterstellten Stabsabteilungen heißen bei Philips ,Sekretariate'. Nach der Strukturkonzeption ist ihr Aufgaben- und Kompetenzbereich die Entscheidungsvorbereitung.“ In den„Vorstandssekretariaten werden im wesentlichen die Arbeiten zur Entscheidungsvorbereitung im Vorstand geleistet“, findet Dr. cand. Hennemann heraus. Und auch daß es noch „die persönlichen Sekretariate der Vorstandsmitglieder“ gibt, bleibt dem wachsamen Beobachter nicht verborgen.

Die Strukturen der Firma Unilever sind dagegen ein wenig anders: „Bei Philips wurde die Diskussion zur Entscheidungsreife in Kommissionen oder vorstandsinternen Arbeitsgruppen geführt, bei der Unilever ist das zuständige Gremium der Verwaltungsrat. Dieser Kompetenzverwaltung entsprechend, gehören die Führungskräfte der Stabsfunktionen ebenso wie die Führungskräfte des operativen Leitungsbereichs, der in der Regel entscheidungsinitiativ ist, dem Verwaltungsrat an.“

Besonders beeindruckt zeigt sich Hennemann von der Firma Geigy: „Die Geigy-Organisation ist dargestellt als Beispiel für einen Versuch, die Aufbauorganisation von außen – hier von der Unternehmensberatung Mk.Kinsey & Company Inc., – gestalten zu lassen. Das Ergebnis wirkt überzeugend: Es wurde eine klar gegliederte, gut überschaubare Struktur geschaffen.“

Im Teil 5 seiner Arbeit faßt Friedrich Hennemann schließlich seine Erkenntnisse zusammen. „Die Ergebnisfindung beginnt mit der Konkretisierung der Problemelemente“, resümiert der Doktorand und weist darauf hin, daß „die Problemlösung als gleichzeitiger Extremfall aller primären Einflußgrößen formuliert wird“.

Hennemanns Fazit: „Gegenstand des Arbeitsergebnisses ist die Problemlösung.“

Kerstin Schneider

Hennemann, Friedrich: Organisationsstruktur und Produktion im Ausland. - Zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften von der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Karlsruhe (T.H.) , 1971