"Einen Melting Pot hat es nie gegeben"

■ Science oder Fiction? Der Politologe Samuel P. Huntington möchte Amerikas Grenzen schärfer bewachen lassen - in Vorbereitung auf einen kommenden Krieg der Kulturen

taz: Ähnlich wie Daniel Jonah Goldhagen haben Sie sowohl in den USA als auch hierzulande mit einem populär formulierten Horrorszenario – in Ihrem Fall dem vom großen Krieg der Kulturen – von sich reden gemacht. Ist das eine neue Distinktionsstrategie von Harvard, seine Wissenschaftler als Untergangspropheten auf Weltmission zu schicken?

Samuel Huntington: Was Goldhagen betrifft: Ich habe immer vermutet, daß sein Buch von größerer Relevanz für die Deutschen sei als meins; die Heftigkeit der Reaktionen auf meinen Lesungen hier hat mich zum Teil sehr überrascht. Es stimmt schon, daß in Amerika großer Wert darauf gelegt wird, Wissenschaft allgemeinverständlich zu halten. Ich weiß, daß Akademiker in Europa da anders denken. Natürlich müssen die Universitäten darauf achten, in öffentlichen Debatten präsent zu sein. Aber das ist nicht auf Harvard beschränkt: Philosophen wie Francis Fukuyama kommen von anderen Universitäten.

Fukuyamas dürre Hoffnung, wir seien am Ende der Geschichte angelangt, weil es im Grunde keine Alternative zum westlichen Liberalismus gebe, war offenbar einer der Anlässe für Sie, auf den Plan zu treten. Was hat Sie daran so verärgert?

Es ist ungeheuer arrogant und sogar fahrlässig, so zu tun, als sei der Liberalismus durchgesetzt, wenn die Leute in Afghanistan Coca-Cola trinken. Das kann nur jemand sagen, der sich immer nur in den Kreisen bewegt, die ich Davos- Kultur nenne, also einer Elite, die sich auf Weltwirtschaftsforen trifft und mit international kompatiblen Daten und Zahlen hantiert. Solche Leute denken, weil sie selbstverständlich den Glauben an Individualismus, Marktwirtschaft und Demokratie teilen, ist er auf der ganzen Welt verbreitet. Das ist aber ein gefährlicher Irrtum. Jemand kann Rap hören und zwischen zwei Verbeugungen in Richtung Mekka an einer Bombe basteln, mit der er in der nächsten Minute ein amerikanisches Flugzeug in die Luft jagt.

Der Westen hat sich in früheren Jahrhunderten ja auch ständig in wechselnden Modewellen für China oder Indien begeistert, aber doch nicht, um ihre Werte zu übernehmen, sondern weil sich in ihnen westliche Herrschaft spiegelte. Es sagt eine Menge trauriger Dinge über uns aus, daß der Westen seine Zivilisation mit ausgebleichten Hosen und fetthaltigen Speisen gleichsetzt.

Wollen Sie den Big Mac künftig in eine Magna Charta einwickeln?

Im Gegenteil. Ich bin ja gerade der Meinung, daß der Westen nicht das Recht hat, anderen Kulturen seine Werte aufzuzwingen.

Aber wir haben es mit einer weltweiten Identitätskrise zu tun, die nicht ohne Folgen bleiben wird. Ich habe in meiner Wohnung ein ganzes Archiv von Artikeln, die eine rumänische, eine skandinavische, eine malaysische oder sonst eine nationale Identität zum Thema haben, einer dringlicher als der andere. Überall sieht man, nachdem die großen Ideologien des Kalten Krieges abgedankt haben, in großem Stil die Rückbesinnung auf indigene Sprachen, Bräuche, Kleidung. Die Religion ist wieder da. Die Menschen identifizieren sich mit der Summe all dieser Dinge, mit ihrer Zivilisation, und meine These ist eben, daß sich künftige Konflikte auf dieser Grundlage zwischen den sieben großen Zivilisationen abspielen werden.

Ihr Zukunftsszenario ist manichäisch wie ein klassischer Science-fiction-Roman: Die USA, Europa, Rußland und Indien werden nach einer unaufhaltsamen Kettenreaktion in einen Krieg gegen China, Japan und den größten Teil des Islam verwickelt. Ein Film wie „Independence Day“ wirbt doch aber gerade für das amerikanische Modell, indem er präsentiert, wie locker die USA verschiedene Kulturen amalgamieren und wie die weltweite Vernetzung überhaupt jeden Isolationismus unmöglich und auch unattraktiv macht ...

So war es vielleicht ursprünglich. Inzwischen bedeutet amerikanische Identität aber hauptsächlich, daß man sich auf bestimmte politische Prinzipien geeinigt hat, die Unabhängigkeitserklärung, die Bill of Rights, einen schwachen Staat und so weiter. Es gibt einen gewissen kulturellen Konsens, einen Konsens, der im wesentlichen britisch geprägt ist und der diese Prinzipien auch hervorgebracht hat. An diesen Konsens haben sich Einwanderergruppen immer weiter assimiliert. Einen Melting Pot hat es nie gegeben.

Die „Los Angeles Times“ hat Sie wegen dieser Überzeugung als einen typischen Ostküsten-Intellektuellen beschrieben, einen Wasp, der die Welt nur von Boston her betrachtet und nicht zur Kenntnis nimmt, daß Amerika zu einem großen Teil schon vom Pazifik her geprägt ist, und daß Sie eine gelbe Gefahr wittern, wo andere Chinatowns sehen, die so amerikanisch sind wie Apfelkuchen.

Es gibt Amerikaner, die werben für Multikulturalismus bei uns, andere werben für Universalismus im Ausland; das erste gefährdet die USA und den Westen als Ganzes, denn innere Differenzen machen ihn angreifbar. Das zweite, der Universalismus im Ausland, gefährdet den Westen und die Welt, denn es wird als Imperialismus erlebt und wird entsprechende Gegenreaktionen provozieren. Es ist falsch, die Welt Amerika gleichmachen zu wollen, aber ebenso falsch ist es, Amerika der Welt gleichmachen zu wollen.

Sie waren in der Carter-Administration politischer Berater. Was würden Sie angesichts Ihrer finsteren Prognosen der Clinton-Administration raten? Sich in Menschenrechtsangelegenheiten nicht mehr allzu sehr aus dem Fenster zu hängen?

Jedenfalls nicht allein! Wenn wir China gegenüber auf der Freilassung von Dissidenten bestehen, sollten wir vorher sicherstellen, daß unsere europäischen Verbündeten nicht eine halbe Stunde später die Geschäftsverträge abschließen, die uns dadurch verlorengehen. Außerdem glaube ich, es ist wichtig, die Einwanderung beispielsweise aus Mexiko scharf zu begrenzen. Das ist ein Land mit 90 Millionen Einwohnern, es ist gleich nebenan, und Mexikaner müssen nur über die Grenze oder durch einen Fluß gehen, um in die Vereinigten Staaten zu gelangen.

Sie sagen Kulturen sind relativ, Moral ist absolut. Im Gegensatz zu einem Philosophen wie Michael Walzer, der diese Vorstellung wohl teilen würde, sind Sie aber der Meinung, daß der Staat sich zu diesen konkurrierenden Vorstellungen vom guten Leben nicht neutral verhalten sollte.

Neutral kann sich der Staat im Konflikt der Kulturen nicht verhalten; wenn der Westen das tut, wird er untergehen. Interview: Mariam Niroumand