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Die verlorene Ehre der Rita S.

Streit um Politikerflüge: Bundestagspräsidentin erwirkt einstweilige Verfügung in sieben von zehn Fällen gegen den Springer Verlag. Rita Süssmuth sieht sich als Opfer einer bösen Kampagne  ■ Von Jan Feddersen

Berlin (taz) – Rita Süssmuth wird nicht in Ruhe gelassen. Zwar erwirkte die Bundestagspräsidentin mit Hilfe ihres Anwaltsbüros Redeker, Schön, Dahs & Söllner in Bonn eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Hamburg gegen den Springer Verlag. Nun darf in sieben Fällen Bild am Sonntag nicht mehr behaupten, die Politikerin habe Flugzeuge der Bundeswehr für private Zwecke genutzt. Doch in drei Fällen wollten die Richter die Verfügung nicht erlassen und sie erst in einer späteren Hauptverhandlung klären. Fraglich ist beispielsweise, ob Süssmuth am 23. Oktober 1995, einem Montag, sich von der Flugbereitschaft der Luftwaffe hätte von Zürich abholen lassen dürfen. Dort hielt sie sich auf, um an der Promotionsfeier ihrer Tochter Claudia teilzunehmen.

Wegen einer dringlichen Sitzung der „Rechtsstellungskommission“ des Bundestags habe sie aber kurzfristig nach Bonn zurückmüssen. Nach Ende der Bonner Beratung ist sie mit einem Flugzeug der „Air Rühe“ (Bonner Jargon) wieder in die Schweiz geflogen worden und kam dort „nur mit Mühe“ (Süssmuth) zum Festakt an. Dieter Lau, Vizepräsident des Steuerzahlerbundes, hält diesen Trip für einen „Verstoß gegen die Richtlinien“. Irrtum: Sofern die Sitzung in Bonn kurzfristig angesetzt wurde, entsprach die Nutzung der Flugbereitschaft den Richtlinien.

Die Pressestelle des Bundestags dementierte gestern heftig den Anwurf der Boulevardzeitung, am Tage nach der Feier mit der Bundeswehr nach Deutschland geflogen zu sein. „Sie reiste nachweislich am 24. Oktober mit privat gebuchtem Linienticket von Zürich nach Düsseldorf.“ Unwidersprochen blieb allerdings der Trip vom 22. Juli dieses Jahres. Damals mußte Süssmuth früh um 9 Uhr am Köln-Bonner Flughafen sein, um mit einer Bundestagsdelegation nach Kiew zu fliegen. Statt ihr privates Billett zu nutzen, ließ sie sich mit dem VIP-Dienst des Hauses Rühe nach Westdeutschland jetten. Angeblich war bei der Lufthansa kein Platz mehr vorhanden. Doch 33 Sitze blieben in einer Maschine leer, für die die CDU-Politikerin freilich eine Stunde früher hätte aufstehen müssen.

Auch andere Recherchen machen aus „Lovely Rita“ (Spiegel) inzwischen eine gläserne Person: So soll sie laut Welt am Sonntag mehrmals vom Helikopterservice der Bundeswehr in die Nähe ihrer niederländischen Datscha geflogen worden sein. Entdeckt wurde zudem ein Vorfall aus dem Jahre 1988, als Rita Süssmuth noch Familienministerin im Kabinett Kohl war: Damals nutzte sie einen Hubschrauber, um bei einer Feier ihrer Schwiegereltern pünktlich zugegen sein zu können. Der Ort liegt im Münsterländischen, nur zwei Stunden Autofahrt von Bonn entfernt.

Die bei Umfragen immer wieder als beliebteste Politikerin Deutschlands profilierte Frau, dies läßt sich resümieren, nutzte die nicht verbotenen Privilegien wie einen privaten Dienst. Motto: Was nicht strafbar ist, nehme ich gerne mit. Denn Rita Süssmuth – an die hohe moralische Ansprüche gestellt werden, weil sie selbst die Hürden hoch legt – ist nicht die einzige, die nur selten ein arbeitsfreies Wochenende genießen kann. Helmut Kohl fährt auch nur einmal im Jahr zum Wolfgangsee.

Auffällig ist, daß nur Süssmuth bei den Springer-Medien auf dem Prüfstand steht. Aus dem Bundesverteidigungsministerium heißt es: „Frau Süssmuth ist bei Gott nicht die Schlimmste – da gibt es ganz andere.“ Ob nun Volker Rühe, Chef der Hardthöhe, am Wochenende mit dem Dienst seines Hauses nach Hamburg fliegt, Claudia Nolte sich wegen ihrer Termine im Wahlkreis – richtlinienkonform – zu Mann und Kind bringen läßt oder die CSU-Prominenz Freitagnachmittag nach München heimfliegt: von den 40 Berechtigten, die die Flugbereitschaft in Anspruch nehmen dürfen, versagt sich fast niemand diese feudale Vergünstigung. Trotzdem: Rita Süssmuth ist gekränkt. „Ich bin zornig über diese Kampagne. Für mich ist es ein Stück verlorene Ehre.“

Immerhin: Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer und Außenminister Klaus Kinkel meiden das wichtigtuerische Gejette – ihr Bundestagsticket oder das Dienstauto genügt ihnen. Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) hingegen ließ sich zweimal nach Spanien von seinem Amtskollegen Luiz Atienza einladen, um dort offiziell über Amtsgeschäfte zu sprechen. In Wirklichkeit ging er dort auf Steinbockjagd. Auch bei einer Reise nach Namibia fiel der Minister auf: Nach Informationen des Spiegel hat er seine Frau erster Klasse nachkommen lassen – auf Staatskosten. Sie habe mitkommen müssen „zwecks Repräsentation“.

Einer, der um die Gefahren feudaler Privilegienhuberei in einer offenen Gesellschaft weiß, hat sich bislang nichts zuschulden kommen lassen. Er weiß, daß Macht pur besser schmeckt als alle Schnäppchen, die mit ihr zu schlagen wären: Helmut Kohl. 1991 flog seine Frau nach Italien, um dort mit der Flugbereitschaft ihren verunglückten Sohn Peter nach Hause zu holen. Der Flug kostete 70.000 Mark. Die Familie beglich die Summe sofort.

Siehe Portrait Seite 8

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