Märchenhaft moralgetränkt

■ Das Junge Forum Musiktheater zeigt das Musical „The Sound Of Music“ von Richard Rogers – nicht hingehen!

Die Regel, daß es eine Ausnahme von jeder Regel gibt, verspricht auch die Möglichkeit der Umkehr zum Guten im eigentlich Unguten. Bezogen auf die musiktheatralische Sparte des Musicals werden diejenigen, die dem boulevardesken Genre unwohlgesonnen sind, auf die Tatsache vertröstet, daß auch tendenzielle Rührseligkeit, seichte Dauerbeschallung und eine Neigung zu einfältigen Handlungen noch neutralisierbar sind: Nämlich, wenn man das Sujet durchschaut hat und die Kraft zu einer wirklich gekonnten Parodierung aufbringt.

Wer sich mit solchen Hoffnungen am Sonntag abend zur Hochschule für Musik und Theater begab, um im Rahmen des Jungen Forums Musiktheater The Sound of Music, die Diplom-Inszenierung von Allison Windmiller, zu rezipieren, sah sich aber ebenso schnell wie arg getäuscht. Denn die Darbietung entpuppte sich als ein unangenehmes Konglomerat aus Vorhersehbarkeit, ironieloser und deshalb – selbst für Musicalverhältnisse – unplausibler Unplausibilität. Dabei hätte gerade die märchenhaft moralgetränkte Story zu einer unkonventionelleren Bearbeitung eingeladen. Die Heldin Maria wird der selbstfinderischen Erkenntnis entgegengeführt, daß sie ihren Wunsch, Nonne zu werden, aufgeben muß zugunsten der weltlichen Liebe zum hölzernen „Corvettenkapitän“ von Trapp und seinen sieben Kinder-Zwergen. Mit ihrer penetrant-naiven Obsession für Musik erweichte Maria-Aschenputtel aber leider nicht nur gefühlskalte Militärherzen, sondern auch Kummer gewöhnte Rezensentennerven.

Das eigentliche Problem bestand in der Halbherzigkeit, das uninspirierte Geschehen einerseits in seiner Moral-von-der-Geschicht-Manier erhalten, andererseits auf eine gewisse Alibi-Ironie nicht verzichten zu wollen. Eine verkitscht-stilisierte Schaumstoffbühnenwelt sollte Scherzhaftigkeit etablieren – und ließ im Rahmen der Inkonsequenz das an sich schon wenig Verheißungsvolle zu ungemütlich gemütlicher Tüdeligkeit mutieren. Spätestens als Maria die zickigen von Trapp-Kids mit der geheiligten Gabe des Singens verzaubert, meint man, versehentlich in einer schultheatralischen Veranstaltung gelandet zu sein.

Auch der Sound der Musik untermauerte in The Sound of Music die allgemeine Zäh- und Langatmigkeit. Spießig-altbackene Schlagertexte, untermalt von dumpf orgelndem Humptata, verbreiteten in ihrer witzlosen Präsentation Spannung höchstens in der Laufmuskulatur, welche zum Aufbruch mahnte. Daß der Rezensent diesem Drang zur Pause nicht länger widerstehen konnte, lag nicht zuletzt an der Tatsache, daß der Hoffnung auf etwaige Änderung des biederen Geschehens im Vorangegangenen gründlichst vorgebeugt war.

Und die Moral von der Geschicht: Die Ausnahmemöglichkeit gibt es ohne Regel nicht.

Christian Schuldt