Bremer Land

■ Kalte Schauer nach Lektüre einer neuen, alten Bremensie

Die Flut von Bremensien aus den Druckereien und Verlagsanstalten der Hansestadt reißt bekanntlich nicht ab und wird auch noch im neuen Jahr auf uns niedergehen. Doch nicht immer wird bloß das Gleiche wieder erzählt, und nicht immer bläst man ein noch so geringes Detail zur Bildbandstärke auf. Nein manchmal , wenn auch selten genug, versteckt sich eine kleine Perle in der Flut der Veröffentlichungen, und weil nach der Schenkerei am heutigen Abend ganz gewiß die Suche nach Umtauschmöglichkeiten folgt, weisen wir an dieser Stelle hin auf das Büchlein „Bremer Land“ eines gewissen Harry Wolff.

Rund siebzig Seiten stark ist das mit Schwarz-Weiß-Photographienund Abbildungen illustrierte Bändchen. Hinzu gesellt sich ein Nachwort aus der Feder Claus Schuppenhauers – einer der beiden Geschäftsführer des Instituts für Niederdeutsche Sprache, das zusammen mit dem Hauschild-Verlag als Herausgeber auftritt.

Schon beim ersten Blättern fällt auf, daß der Haupttext aus der Frakturschrift gesetzt ist – die dritte Umschlagseite informiert: Es handelt sich um einen Nachdruck der Ausgabe von 1928, die nach Schuppenhauer schon wenige Jahre nach ihrem Erscheinen vergessen wurde und deren Titel allenfalls „ein paar ausgefuchsten Bibliothekaren oder Bremensien-Sammlern“ noch bekannt sein dürfte.

Was auf den ersten Blick verwundert. Denn das 1928 veröffentlichte Geleitwort des damaligen Senators Stahlknecht führt geradezu schmetternd in das Thema ein: Abgesehen von einem frühen „Zurück zur Natur“, das da aus den Zeilen schimmert, warnt der Senator ganz offen davor, daß „Heimatgedanken und -gedenken ausgelöscht werden“ könnten und hofft voller Inbrunst: „Den kommenden, idealer gesinnten Geschlechtern aber werden sie erhalten bleiben, wenn die Gesamtbevölkerung die echte Heimatliebe dieses Buches erfüllt.“

Weniger pathetisch, ja sachlich sogar dagegen der eigentliche Text des Autors Harry Wolff. Obwohl er Schuppenhauers Angaben zufolge zu Lebzeiten einer der maßgeblichen Wortführer der niederdeutsch-norddeutschen Heimatbewegung war, umkreist und bereist er hier im zunächst unverdächtig-zeitlosen Bremensien-Deutsch die Region „Bremer Land“. Anders als heute handelte es bei diesem Gebiet um die ländlichen Flächen zwischen Wümme und Ochtum, die damals noch nicht zur eigentlichen Stadtgemeinde Bremen zählten und in klar abgetrennten Dörfern wie Huchting, Arsten, Oberneuland oder Grambke besiedelt waren.

Im Stil eines Chronisten schildert Harry Wolff die Geschichten und Geschichtchen aus diesen Ortschaften, beschreibt die landschaftlichen Reize, die Ursprünge der Kirchengemeinden oder die Ethymologie von Begriffen wie Hof „Capelle“, „Strom“ oder „Holler-Land“.

Das Ganze steht für sich und kann auch heute noch für sich stehen. Doch mit dem Sujet verband Wolff durchaus politische Absichten. Wie aus Schuppenhauers Nachwort zu erfahren ist, schrieb er Anfang 1933 in einer Zeitschrift: „Wir wollen das Reich aufbauen..., das Reich des niederdeutschen, des deutschen Menschen.“

Wolff, ein Deutsch-Nationaler und – ein Jude. Er starb 1943 in Auschwitz, angeblich an „Herzschwäche bei septischer Angina“. Da läuft's einem kalt den Rücken runter.

Christoph Köster

„Bremer Land“ von Harry Wolff, 1996 im Hauschild Verlag, Bremen