Machtgier ist zeitlos

■ Premiere im Bremer Theater: Verdis „Macbeth“ als moderner Mafiaboss, getrieben von Frauenfantasien

Über die erste Shakespeare-Vertonung „Macbetto“ von Giuseppe Verdi ist viel gespottet worden: Ihre Leierkasten-Melodien, das „Hmtata“ einiger Stellen, das zum Teil hohle Pathos taugten dazu, die revolutionäre musikdramatische Qualität dieser Oper zu übersehen. Damit könnte es zu tun haben, daß die Oper über die mörderische Gier nach Macht eher selten aufgeführt wird.

An der mangelnden Aktualität des Themas, das uns jetzt der Regisseur David Mouchtar-Samorai in der umjubelten Premiere am Bremer Theater am Goetheplatz beklemmend nahebrachte, liegt es sicher nicht.

Selten geht die Verlagerung eines alten Stoffes – Macbeth spielt in Schottlands mythischer Vorzeit – in die Neuzeit so auf, wie in dieser Inszenierung. Der schottische Feldherr Macbeth mordet sich unter dem Einfluß seiner skrupellosen Frau zum König empor und wird am Ende politisch von den Aufständischen überwältigt. Ron Peo als Macbeth zeigt die Psychostrukturen eines Mafiabosses heutiger Industriegesellschaften und setzt neben einem hochdifferenzierten Spiel vor allem die von Verdi geforderten Stimmnuancen ein; über Schrei und röchelndes Wegbleiben der Stimme verfügt er gleichermaßen. Die Hexen sind in dieser Inszenierung Macbeth' innere Frauenfantasien, Wahngestalten, sichtbar gemachte Triebkräfte, die ihn leiten und treiben.

Zusammen mit Kristine Ciesin-ski (die taz berichtete) als furioser Lady setzt die Paartragödie ein im leeren Raum der Einsamkeit, der Regisseur zeigt dicht die gegenseitige Hörigkeit des Mörderpaares. Und Kristine Ciesinski gelingt nach anfänglichen Vibratoanfällen die atemberaubende Studie einer Frau, die sich durch ihre Machtgier selbst zerstört. „Die Lady darf nicht singen“, hatte Verdi verlangt. Von ihrer Angst, Macbeth verloren zu haben, bis zur großen Szene ihres Wahnsinns überzeugt Christine Ciesinski durch eine große singschauspielerische Leistung.

Mouchtar-Samorai entfaltet neben den individuellen Verbrechen des Paares, für die er eine Fülle von kriminalistisch aufregenden Situationen und Bildern erfindet, eine zweite aktuelle Ebene mit großer Intensität: Am Anfang des vierten Aktes gibt es einen regelrechten Exodus von schottischen Flüchtlingen, die die Besatzung ihres Landes beklagen. Der Zug wird Zeichen einer ebenso zeitlosen wie angesichts der heutigen Fluchtereignisse hochaktuellen Passion. Die bedrückende Stimmung kann einen Macduff – glänzend Bruce Rankin – nur noch in Gesang ausbrechen lassen, eins der vielen Beispiele, wie Verdis gescholtene Musik dramaturgischen Sinn macht. Und politisch folgerichtig trägt der Chor statt der Baumzweige Flugblätter vor sich her.

Maßgeblichen Anteil an diesem Eindruck hat das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung des jungen neuen ersten Kapellmeisters Massimo Zanetti. Zanetti vermied reißerische Effekte, sondern meißelte im Gegenteil die rhythmischen und bruitistischen Schreckmomente farbenreich aus, entwickelte expressive Unnachgiebigkeit. Für die verhaltenen und lyrischen Momente ließ er sich und den SängerInnen unerwartet viel Zeit. Und auch das Bühnenbild – ein geometrischer Raum getaucht in eine symbolträchtige Lichtregie – von Heinz Hauser (Kostüme von Urte Eicker) erlaubt die Psychologisierung der Ereignisse. Ein durch und durch aufregender Opernabend, in dem James Moellenhoff als Banco, Shivko Shelev als Malcolm und der vielbeschäftigte Chor sichere Akzente setzten.

Ute Schalz-Laurenze