Stricken statt quatschen

■ Warum sich Michael Cramer (Bündnisgrüne) für Hanna-Renate Laurien (CDU) ins Strick-Zeug legte und keine Lust hat, für Petra Pau (PDS) die Fäden zu ziehen

Er sieht aus wie immer. Schwarze Socken, selbstgestrickt, eine dunkle Jeans, ein Hemd und darüber einen schwarzen Zopfpulli, natürlich auch selbstgestrickt. Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, ist der Strick-Man im Abgeordnetenhaus.

taz: Herr Cramer, Sie tragen immer so schöne Pullover.

Michael Cramer: Vor 17 Jahren habe ich mit dem Stricken angefangen. Wir sind mit meinem letzten Auto, einem Peugeot-Kombi 404 Diesel, nach Italien gefahren. Eine Freundin hat während der ganzen Fahrt gestrickt, und ich fand das so toll, daß wir einen Deal gemacht haben. Sie hat mir das Stricken beigebracht, ich ihr das Gitarrespielen. Mittlerweile habe ich so 15 Pullis gestrickt.

Ist Stricken nicht unmännlich?

Das denken viele. Ich stricke ja nur aus Spaß. Wenn ich schon so viel im Abgeordnetenhaus rumsitzen und mir das dämliche Gequatsche anhören muß, kann ich doch wenigstens produktiv sein.

Anfangs gab es ja heftige Proteste gegen ihre „Nebentätigkeit“.

Es hieß, das wäre mit der Würde des Hause nicht vereinbar. Ich finde, die leeren Sitzreihen während der Plenarsitzungen verstoßen weit mehr gegen die Würde des Hauses.

Die damalige Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien hat Ihre Strickleidenschaft toleriert.

Ich fand es toll, daß sie mich hat stricken lassen. Auch ihr Vorgänger Wohlrabe hat die Proteste abgebügelt. So nach dem Motto: Der sitzt wenigstens da und hört zu. Die anderen sitzen in der Kneipe oder lesen Zeitung. Frau Laurien hat gesagt, ich wäre ein aktiver Abgeordneter, einer, der sich in die Debatte einmische. Damit sie wußte, was ich stricke, habe ich ihr zum Abschied als Parlamentspräsidentin ein paar Socken geschenkt.

Sie war natürlich begeistert.

Ja. Sie hat gleich gesagt, diese Ferse kenne sie nicht, und das Muster sei ganz toll. Und neulich, als ich sie getroffen habe, sagte sie mir: Herr Cramer, die Socken sind wunderbar. Ich trage sie stets beim Wandern.

Was ist denn das Besondere?

Der Großvater der Großmutter meiner Freundin war Schäfer und hat auch gestrickt. Es hat sich also nicht nur das spezielle Muster über Jahrhunderte gehalten, sondern auch das Männerstricken.

Ihre Socken gelten als schick und fest gestrickt.

Ich brauche etwa 20 Stunden für ein Paar, deshalb sind sie so fest. Außerdem steht man ja unter einem gewissen Erfolgsdruck, wenn man sich als Mann in eine Frauendomäne begibt. Mein Alptraum wäre, wenn ich sage, den Pullover habe ich selber gestrickt und jeder antworten würde: Das sieht man.

Ihre Socken sind mittlerweile ein begehrtes Geschenk.

Ich habe bestimmt schon über hundert Socken gestrickt. Einmal auch rot-grüne für einen Neuköllner SPD-Stadtrat. Wir hatten beide 1989 fürs Abgeordnetenhaus kandidiert. Er hat den Einzug verpaßt und bekam von mir als Abschiedsgeschenk ein paar Socken.

Hat er sie getragen?

Ja. Die Socken, die ich verschenke, werden immer getragen. Wenn sich nach sieben, acht Jahren die ersten Verschleißerscheinungen zeigen, werde ich sogar inständig gebeten, neue zu stricken.

Kommen demnächst rote Socken für Frau Pau dazu?

Ich stricke nur für Freunde oder für Leute, für die ich Anerkennung habe, wie zum Beispiel für Frau Laurien, deren Sachkompetenz ich immer geschätzt habe. Und solange sich Frau Pau nicht von ihren Stasi-Fritzen aus der Fraktion verabschiedet, werde ich ihr keine Socken stricken.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten an einer Vision für Berlin stricken.

Man kann ja auch Netze stricken. Zum Beispiel ein Gesamtberliner Straßenbahnnetz. Ich würde mir wünschen, die Straßenbahnlinien so zu stricken, daß sie über den ehemaligen Mauerstreifen bis zum nächsten westlichen U- oder S-Bahnhof reichen. Interview: Jens Rübsam