■ Medienschau
: Zauberstab Europa

Mit dem 13. Dezember 1996 ist die Türkei bereits ein Jahr Mitglied der Zollunion. Für die Türkei war dieses eine Jahr gekennzeichnet von mehreren Regierungswechseln. Von einem Spagat Tansu Çillers Partei des Rechten Weges mit den Sozialdemokraten über eine 90tägige Koalition mit Mesut Yilmaz' Mutterlandspartei bis hin zur jetzigen Koalition mit der fundamentalistischen Wohlstandspartei unter Necmettin Erbakan. „Unter Çillers Hiobsbotschaften“, so ein Bericht in der nationalliberalen Tageszeitung Hürriyet (Frankfurt): „Ohne den Beitritt der Türkei in die Zollunion bestünde die Gefahr eines neuen Algeriens mitten in Europa, läßt sich doch in der Entwicklung heute genau diese Hiobsbotschaft wiederfinden. Was für die Menschen in der Türkei mit einem Hoffnungsschimmer begann, entpuppte sich als Trugschluß: Die Zollunion war mitnichten ein Zauberstab, der mit einem Streich sämtliche wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen konnte. Zumal Zahlungszusagen der EU an die Türkei bisher noch nicht geleistet wurden. Verständlich, wenn man bedenkt, daß es keiner der bisherigen drei türkischen Regierungen gelang, ihrerseits die mit der Aufnahme in die Zollunion verknüpften Auflagen einzuhalten. Enttäuschung und Bedauern sind auch aus den Äußerungen Willy de Clerks, dem außenpolitischen Sprecher der EG, und dem bisherigen Vorsitzenden des Europäischen Parlaments, Peter Dankert, zu vernehmen. Tansu Çiller, so de Clerk, instrumentalisierte die unterschwellige Furcht Europas vor fundamentalistischen Einflüssen, um eine Aufnahme der Türkei in die Zollunion zu erwirken.“ 12.12. 96