Von Vorurteilen und Erfolgen

■ Gespräch mit dem Vorstandsmitglied der Milli Görüș, Hasan Ösdogan. Die Organisation ist der islamistischen türkischen Refah-Partei verbunden

taz: Von Milli Görüș wird häufig beklagt, daß es in Deutschland zu viele Vorurteile gegenüber dem Islam gäbe.

Hasan Özdogan: In der Tat betreiben einige Kreise in diesem Land systematisch und bewußt Islamfeindlichkeit. Aber wir wissen auch, daß der größte Teil der Bevölkerung keineswegs islamfeindlich ist.

Welche Kreise propagieren Ihrer Meinung nach systematisch Islamfeindlichkeit?

Das sind rechtsradikale Kreise. Diese Minderheit macht sich lauthals bemerkbar. Dann gibt es natürlich auch die Übergriffe auf Muslime in Form von Brandanschlägen und Morddrohungen.

Die Übergriffe sind rassistisch motiviert. Sie zielen allgemein auf Türken, auf Schwarze, auf Asylbewerber unabhängig von deren Religionszugehörigkeit.

Sie sind in der Tat nationalistisch begründet, aber wir bemerken die Tendenz, den Islam und die Muslime allgemein anzugreifen, deshalb muß die deutsche Gesellschaft sich jetzt überlegen, welche Integrationskonzepte und Mitwirkungsmöglichkeiten für die Muslime da sind, denn wir wollen deutsche Mitbürger türkischer, arabischer oder bosnischer Herkunft sein.

Milli Görüș hat selbst viel zum vorherrschenden Mißtrauen beigetragen. Die Organisation schottet sich ab. Für Beobachter bleibt der Eindruck, Milli Görüș hätte etwas zu verbergen.

In der Tat ist ein solcher Effekt entstanden. Es fehlt einfach an Mitarbeitern, die sich deutsch artikulieren können. Hinzu kommt, daß unsere Aktivitäten überwiegend religiöser Natur sind. Die Leute ziehen sich zu den Gebeten, Versammlungen und kulturellen Aktivitäten in die Moscheen zurück. Das alles ergibt leider nach außen das Erscheinungsbild des Rückzugs. Inzwischen studieren viele unserer jungen Menschen, die dann in der Lage sind, sich der Gesellschaft hier in deutsch mitzuteilen.

Der Verfassungsschutz wirft Milli Görüș vor, islamisch-extremistische und antisemitische Ziele zu verfolgen.

Wir finden das natürlich falsch. Deshalb haben wir auch eine Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben. Wenn wir radikal sind, so soll man uns das beweisen. Wir sehen das so: Die deutschen Politiker haben für uns Muslime und Türken kein Integrationskonzept. Um ihre Konzeptionslosigkeit zu verschleiern, bringen sie die erfolgreichste Organisation in den Verfassungsschutzbericht rein, man hat sie damit außerhalb der Gesellschaft verdrängt und ein leichtes Spiel.

Das klingt sehr nach einer Verschwörungstheorie...

Das ist leider so.

In der Fundamentalismusstudie des Bielefelder Sozialwissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer ist nachzulesen, daß sich ein Drittel der türkischstämmigen Jugendlichen durch Milli Görüș vertreten fühlen. Das müßte Sie eigentlich mit Stolz erfüllen.

Diese Studie hat uns Muslimen und unserer gemeinsamen Gesellschaft geschadet.

Was ist die Kritik?

In dieser Studie wird behauptet, daß die Jugendlichen massenhaft zu Milli Görüș strömen. Wir sehen diese Strömung nicht.

Aber Sie selbst behaupten doch, daß Milli Görüș so erfolgreich arbeitet.

Nicht wie in der Studie dargestellt. In früheren Studien wurde gesagt, zwölf Prozent der Jugendlichen würden ihre eigene Religion praktizieren. Nun heißt es, 68 Prozent.

In der Studie wird lediglich nachgewiesen, daß für diese Jugendlichen der Islam eine Rolle spielt, die müssen aber doch nicht alle zu Milli Görüș kommen...

Wir können sagen, daß sich die Jugendlichen in einer gesunden Form, wie die Familien zusammengesetzt sind, an unserer Arbeit beteiligen, deshalb sind wir auch so erfolgreich.

Nun also doch wieder erfolgreich...

Alle Generationen sind bei uns, deshalb sind wir so erfolgreich. Wir haben einen normalen Zustand. Dann darf man das nicht, wie in der Studie geschehen, als einen Konflikt in der Gesellschaft darstellen, damit man die Politiker aufweckt, endlich etwas gegen Milli Görüș zu unternehmen. Denn dann kommen Politiker her, geben ganz schlimme Erklärungen gegen unsere Organisation oder allgemein gegenüber sogenannten radikal-islamischen Organisationen ab. Interview: Eberhard Seidel-Pielen

Hasan Özdogan ist Vorstandsmitglied von Milli Görüș, Vorsitzender des Islamrates der Bundesrepublik Deutschland und Vorsitzender der Islamischen Union Europa