Lesetips

Stefan Reinecke, Meinungsredakteur Foto: R. Zöllner

„Ich brauchte ihn zum Feind, er war der Beste.“ Mit diesem Satz läßt Heiner Müller in seinem letzten Stück „Germania 3“ Stalin auftreten. Gemeint ist Nicolai Bucharin, pragmatischer Bolschewist, laut Lenin „Liebling der Partei“. 1938 ließ Stalin ihn ermorden, Bucharin rechtfertigte sehenden Auges noch seine Hinrichtung. Sein Leben und Tod verkörperte das kommunistische Drama: das Subjekt, das sich der Idee opfert.

1994 tauchten in Moskau verschollen geglaubte Schriften auf, die Bucharin 1938 im Kerker verfaßte. Der erste Band, „Der Sozialismus und seine Kultur“, ist nun in nobler Aufmachung bei BasisDruck erschienen, die man für dieses unzeitgemäße Unterfangen gar nicht genug loben kann. Es gibt noch Verleger in Berlin.

Wem dies zu schwierig ist, dem sei John Bergers Roman „Der Weg zur Hochzeit“ empfohlen. Berger gehört einer seltenen Spezies an: Essayist, undogmatischer Marxist, Literat. „Der Weg zur Hochzeit“ ist ein Reise- und Liebesroman aus den Neunzigern, quer durch den Kontinent. Ein Roman, der (Mittel-)Europa feiert, im Moment seines Verblassens. Vor allem aber erzählt Berger, in lakonisch-präzisem Ton, ein Melodrama. Die Liebenden, die an der Po-Mündung Hochzeit feiern, erwarten den Tod. Wer da Kitsch ruft, ist selbst schuld.

Nikolai Bucharin, „Gefängnisschriften 1, Der Sozialismus und seine Kultur“, BasisDruck, Berlin 1996, Aus dem Russischen von Wladislaw Hedeler und Ruth Stoljarowa, 310 Seiten, 48 DM

John Berger, „Auf dem Weg zur Hochzeit“, Aus dem Englischen von Jörg Trobitius, Hanser Verlag, München 1996, 215 Seiten, 36 DM

Hermann-J. Tenhagen, Öko- Redakteur Foto: M. Feijer

Wer sich mit einem der bösesten Buben befassen will, kann sich an der Geschichte des Rheinisch- Westfälischen Elektrizitätswerks (RWE) delektieren. Ganz unaufgeregt beschreiben Lutz Mez von der FU Berlin und der Kölner Journalist Rainer Osnowski Werden und Wachsen des Giganten. Aus dem größten deutschen Stromkonzern ist inzwischen der größte Müllkonzern und einer der wichtigsten Akteure im Telekommarkt geworden. 400 Firmen besitzt das Imperium. Vor allem aber pusten seine Kraftwerke ein Neuntel der gesamten deutschen Kohlendioxid-Emissionen in die Luft: zum Schaden des Klimas.

Lutz Mez/Rainer Osnowski, RWE – ein Riese mit Ausstrahlung, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1996, 16,80 DM