Keine Lust auf zuviel Umland

■ Vor 50 Jahren wurde entschieden, wie groß Bremen sein soll: ein Stadtstaat, so groß wie das Saarland, oder mit Speckgürtel? Ein kleiner Rückblick auf einen hochnäsigen Verzicht

inen Speckflaggen-Anstecker trägt die Mitarbeiterin der Senatsbibliothek bereits. „Aber den Speckgürtel, den könnten wir heute auch gut gebrauchen“, lacht sie. Schließlich liegen jenseits der Autobahn freie Gewerbeflächen, weites Grün und Bauland für junge Familien – alles, was die Abwanderung finanzkräftiger Steuerzahler verhindern könnte. Doch vor fünfzig Jahren haben die Bremer selber dafür gesorgt, daß die Umlandgemeinden bei der Gründung des Bundeslandes Bremen draußen bleiben.

Schon 1944 hatten die Aliierten vereinbart, den Amerikanern einen Nachschubhafen zu garantieren: Die „Enklave“ Bremen. Diese amerikanische Besatzungszone inmitten des britischen Niedersachsen umfaßte neben dem Stadtgebiet auch die Landkreise Wesermünde, Wesermarsch und Osterholz-Scharmbeck. Allerdings überschnitten sich hier in der Verwaltung britische, amerikanische, hannoversche und bremische Kompetenzen derart, daß der erste Bremer Nachkriegsbürgermeister Wilhelm Kaisen klagte: „Bremen ist immer da zuständig, wo es im Augenblick am unvorteilhaftesten ist.“

Wichtigstes Ziel der Bremer war es also, die Unabhängigkeit als Hansestadt wieder herzustellen. Als Tor zur Welt war Bremen in seiner Geschichte fast durchweg unabhängig gewesen und hatte damit dem gesamten Deutschland genützt, argumentierten Kaisen und der Zweite Bürgermeister Theodor Spitta. Allerdings versuchte im Sommer 1946 auch der von den Briten protegierte sozialdemokratische Oberpräsident der Provinz Hannover, Heinrich Wilhelm Kopf, die Zerschlagung Preussens durch die alliierte Verwaltung zu nutzen. Unter seiner Regie sollte das Land Niedersachsen neu entstehen – Bremen, das ihm verwaltungsrechtlich gerade Blumenthal abgeluchst hatte, eingeschlossen.

Die Bremer taktierten deshalb vorsichtig. „Bremen wäre mit dieser kleinstmöglichen politischen Einheit durchaus zufrieden“, sagte Kaisen jedem, der es hören wollte. Die Bürgermeister eilten von Festmahl zu Festmahl, tingelten durch die Gremien und redeten mit Engelszungen auf die amerikanischen Militärbehörden ein. Besonders beeindruckte das den Leiter der Zivilverwaltungs-Behörde der amerikanischen Militärregierung Henry Parkmann und den damals stellvertretenende Militärgouverneur Lucius D. Clay. „Mit dem hat Kaisen massiv was ausgedealt“, erzählt die Bremer Historikerin Inge Marßolek.

Deshalb nahmen es die Bremer gelassen, als die Enklave zunächst verkleinert wurde. Um sich endlich auf den Hafenausbau zu konzentrieren, überließen die Amerikaner den Briten die Verwaltung der Landkreise Osterholz-Scharmbeck, Wesermünde und Wesermarsch. Bremen selbst aber garantierte Lt. Colonel Gordon Browning, der Direktor der amerikanischen Militärregierung, am 4.10.46 im Rathaus die Reichsunmittelbarkeit – natürlich wieder bei einem Festessen. Zwischen der Hansestadt und der Bundesregierung sollte kein weiteres Gremium, etwa eine Landesregierung, stehen. Parkmann hatte sich gegen den britischen Unterhändler Austen Albu durchgesetzt. „Damit war für das Besatzungskind Bremen die Gefahr, nur ein Teil Niedersachsens zu werden, gebannt,“ erklärt der Fraktionsgeschäftsführer der Bremer CDU, Dr. Erich Röper. Von der Gründung des Landes Niedersachsen am 1.11.1946 wurde die Stadt ausgenommen.

Als Browning aber Kaisen fragte, „ob das Bremen als Land weitere Gebiete wünsche“, lehnte der markig ab: „Die Bremer sind keine Eroberer.“ Ein Bundesland Bremen von saarländischen Ausmaßen –das war für den alten Hanseaten unvorstellbar. Dabei bestand laut Spitta „bei den Amerikanern die Neigung, Bremen zur Hauptstadt eines größeren Landes (Verden, Delmenhorst, Wesermarsch, Wesermünde usw.) zu machen.“ „Kaisen wollte die Landverbindung nach Wesermünde nicht, weil ihm in den ländlichen Gebieten die sozialdemokratische Wählerstruktur fehlte“, glaubt Dr. Röper.

Doch auch die Kaufmannschaft hielt wenig vom Flächenstaat. Ihr Wortführer Spitta erklärte, „der Charakter Bremens würde verloren gehen, wenn dem Lande vorwiegend landwirtschaftliche Gebiete und eine größere Bevölkerung mit anders gearteter Einstellung angegliedert würden.“ Im Klartext: Der sorgfältig ausbalancierte Konsens zwischen Sozialdemokratie und Kaufmannschaft, der später zum berühmten „Filz“ im Zwei-Städte-Bundesland wurde, wäre durch bäuerliche oder welfisch-niedersächsische Interessengruppen in Frage gestellt worden. „Nur bei einzelnen Gegenden in der Nähe Bremens, in denen die in Bremen tätigen Arbeitskräfte besonders zahlreich wohnen und die auch sonst wirtschaftlich und kulturell in der unmittelbaren Einflußsphäre Bremens liegen, könnte sich eine Angliederung an Bremen aus praktischen Gründen empfehlen,“ riet der Zweite Bürgermeister. Das waren neben den Häfen Nordenham, Elsfleth und Brake auch Delmenhorst, dessen Industrie laut Spitta nur dem Bremer Kapital seine Existenz verdanke. Lemwerder, Schwanewede, Eggestedt, Löhenhorst-Leuchtenburg, Neuenkirchen, Osterholz-Scharmbeck, Achim, Brinkum-Stuhr, Syke-Leeste, Barrie und Kirchweyhe ergänzten seine Wunschliste. Überall dort sei „geeignetes Gelände für gesunde Arbeitersiedlungen“ vorhanden.

Dem heutigen Bürgermeister von Weyhe, Edmund Irmer, wäre der Anschluß sogar Recht gewesen. „Der Bezug zu Bremen ist ja intensiv.“ Die 7.000 Pendler, so Irmer, hätten so möglicherweise auf eine weitergebaute Straßenbahnlinie zurückgreifen können. Zudem gefallen dem Bürgermeister die kurzen Bremer Behördenwege: „Hannover ist weit.“ Auch für CDU-Geschäftsführer Röper hätte sich die kleine Erweiterungsvariante gelohnt: „Zwar würden die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich nicht mehr so üppig fließen, aber für die gesunde wirtschaftliche Entwicklung hätte das Gewerbeflächen und Bauland gebracht.“

So vorausschauend Spitta zu einer Zeit, als in der Vahr nur Bauernhöfe standen, den späteren Flächenbedarf der Hansestadt erkannte, so wenig bemerkte er aber den politischen Sprengstoff seines Entwurfes. Für ihn waren die Gebietsvorschläge „nur Grenzberichtigun-gen, die für das Land Niedersachsen belanglos sind.“ Doch schon als der Stadtkreis Wesermünde an Bremerhaven angeschlossen und damit aus Niedersachsen ausgegliedert werden sollte, erhob Kopf dagegen „schärfsten Einspruch“, obwohl selbst der Wesermünder Oberbürgermeister Gerhard von Heukulum den Anschluß forderte. Nachdem Wesermünde bremisch geworden war, machten Briten und Niedersachsen keine Zugeständnisse mehr, weil den Bremern ihr wichtigster Bündnispartner abhanden kam: Die Amerikaner, die zunächst viel mehr als die Umlandgemeinden zu geben bereit gewesen waren, zogen sich aus den in ihren Augen kleinlichen Verhandlungen zurück. Und der Speckgürtel blieb bei Hannover.

Lars Reppesgaard