Zum zweitenmal in diesem Jahr: Vera Lengsfeld bewegt die Gemüter der Republik

■ betr.: „Schwerter zu Pflugscharen zu Blockflöten“ und Berichterstat tung zum Übertritt Vera Lengs felds in die CDU, taz vom 18.12. 96 und folgende

Als Theologe gewohnt, einem Herrn zu dienen (wie der wohl aussehen mag?), und als Politiker nur dem eigenen Gewissen verantwortlich (wie das wohl aussehen mag?), fällt der Wechsel gewiß nicht schwer, denn: „...sooft das Vaterland in Gefahr ist, fangen sie ganz sachte an, an Kohl zu glauben; erst jeder leis für sich, dann immer lauter, bis sich einer dem anderen verrät und sie dann zusammen eine wunderliche Theologie treiben, deren erster und einziger Hauptsatz lautet: Hilf dir selbst, so hilft dir Kohl!“ (Aus Gottfried Keller, Das Fähnlein der sieben Aufrechten. [An gehöriger Stelle „Gott“ durch „Kohl“ ersetzt]). Günther Beck, Göttingen

Liebe Vera Lengsfeld, [...] Die Grünen waren und sind die einzige Partei, die entschlossen Menschenrechtsarbeit betreibt. Deinen Entschluß, der CDU beizutreten und dein Mandat mitzunehmen, kann ich nicht nachvollziehen. Du reichst Herrn Dr. Helmut Kohl die Hand. Dieselbe Hand, die auch die Hand des indonesischen Diktators drückt, und dieselbe Hand, der die Hand des chinesischen Diktators gereicht wurde. An den Händen dieser Diktatoren klebt Blut.

Es war auch die Partei von Herrn Kohl, die ohne Vergangenheitsbewältigung die ohnmächtige DDR als Kolonien aufgenommen hat.

Ich bin menschlich sehr enttäuscht über Dein Verhalten. Wenn ich schon Dein Verhalten akzeptieren muß, dann bitte beende Deine Mitgliedschaft bei Bündnis 90/Die Grünen sauber. Gib Dein Mandat zurück. Es gehört nicht der CDU. Und die Wählerinnen und Wähler haben dieses Verhalten nicht verdient. Heidi Henning, Karlstadt

Denn siehe, die Wege des Herrn sind wunderbar – und die von Vera Lengsfeld. Da hat sie jahrelang ihre Talente an Unwürdige vergeudet, um nun doch noch in den warmen Schoß von Gottes eigener, allseligmachender Partei heimzufinden. Und nur Böswillige werden bestreiten, daß sie diesen Schritt nicht leichtfertig, sondern aus Überzeugung getan hat, nämlich aus der festen Überzeugung, sonst 1998 nicht wieder in den Bundestag gewählt zu werden, und das wäre doch jammerschade, aus vielfältigen Gründen. So kann sie auch Unmutsäußerungen von Wählern, durch deren Stimmen sie einst via Landesliste nach Bonn delegiert wurde, frohen Herzens ignorieren, zumal man ja weiß, daß einem Mandat nichts Besseres widerfahren kann, als in die pfleglichen Hände von Christen zu geraten. [...] Da beschleicht einen geradewegs die Ahnung, daß gar mal ein Ministerposten für sie abfallen könnte – sei's drum, daß ein neues Amt kreiert werden müßte: das „BUMI für das Satirewesen“ z.B. würde ihrer überbordenden Qualifikation in etwa entsprechen und die im Kabinett Kohl etablierte, geistig-moralische Elite unseres Landes könnte durch sie allfällig aufs angenehmste ergänzt werden. [...] Jo Benjamin, Bensheim

Ich möchte mich beschweren. Als langjährige Leserin der taz konnte ich die Kommentare zum Austritt der Bürgerrechtler aus SPD und den Grünen kaum mehr lesen. Überall die gleiche Häme, überall wird Gysi mit seinem Elaborat über Blockflöten übernommen, und nirgendwo lese ich original die Motive der Bürgerrechtler.

Ich kann sie gut verstehen! Wir wurden 1984 von den DDR-Bonzen ausgekotzt in die BRD, und heute grinsen mich meine IMs aus guten Pöstchen an – die Original- SED-Leute. Die Blockflöten dagegen haben nicht so gute Beziehungen. Viele meiner Freunde, die angesprochen wurden auf einen Parteieintritt in die SED – sind fix mit vordatierten Anträgen in die Blockparteien eingetreten, um nicht zu den staatstragenden Leuten zu zählen [...] Siegrid Meyer, Berlin

Nun sind sie angekommen, wo sie (Ausnahmen bestätigen die Regel) schon immer hinwollten, an Macht, Posten und Pfründen. Bewundernswert nur der politische Instinkt, mit dem Herr Kohl die sogenannten Bürgerrechtler und ihre Standhaftigkeit sowie (moralische) Käuflichkeit einschätzte und sie beharrlich umschmuste. Endlich auch die – von Erstgenannten ausgestreute – Illusion, Bürgerrechtler hätten eine höhere politische Moral, am Ende. Charakter bleibt dort auf der Strecke, wo ein Abgeordneter aus nicht sehr edlen Motiven die Partei, für die ihn der Wähler wählte, verläßt, die Pfründen des Mandats aber weiter genießen will. Da unterscheiden sich offensichtlich die Menschen aller Parteien nur wenig. Doch warum bedauern, Konvertiten waren in der CDU schon immer willkommen und gehören wohl auch dahin. Gerhard Rosenberg, Berlin

Die Grünen sollten die „Fahnenflucht“ nicht bedauern, denn wer wie Frau Lengsfeld nicht nur die Partei wechselt, sondern auch das grüne Mandat in ein schwarzes wandelt, gehört ja wohl in die tiefste moralische Kellerkategorie und ist in der CDU/CSU/FDP bestens aufgehoben. Vielleicht ist es ja das Virus, das Herbert Wehner diagnostizierte: Kohl erzeugt Blähungen und treibt schwarze Dämpfe ins Hirn. Jochen Kolkmeyer, Berlin

Eins muß man Frau Lengsfeld und ihren GesinnungsfreundInnen lassen: Sie sind wahre MeisterInnen darin, das Pflegen ihrer Profilneurosen und das Absichern ihrer politischen Karrieren der Öffentlichkeit als kompromißloses Festhalten an ehernen Prinzipien zu verkaufen. Sie möchten so gern die moralisch Höherstehenden sein, doch auch in ihrer Werteskala kommt zuerst das Fressen. Um die PDS von der Macht fernzuhalten, verbünden sie sich mit denen, die das Asylrecht faktisch abgeschafft haben, mit den Verantwortlichen für wachsende Armut einerseits und zunehmenden Reichtum andererseits, mit der Partei, in der ein furchtbarer Jurist wie der ehemaligen Ministerpräsident Hans Filbinger Ehrenvorsitzender ist. Frau Lengsfeld hat bekanntlich vor einigen Wochen zum Boykott der taz aufgerufen, demnächst wird sie sich wohl dem geneigten Publikum als Kolumnistin des Bayernkurier präsentieren. Uwe Tünnermann, Lemgo

Bedauerliches aus Thüringen

Im Sommer 1989, als viele Leute das Beglückungsland, das er mitbegründet hatte, verließen, erklärte Erich Honecker, daß ihnen keiner eine Träne nachweine. Die Trauer des Volkes zählte ihm nichts. Diese kaltschnäuzige Uneinsichtigkeit nahm sein politisches Fiasko vorweg.

Im Winter 1996, als Vera Lengsfeld, die einzige außerhalb des Milieus bekannte grüne Thüringerin, ihre Partei verließ, die sie mitbegründet hatte, erklärte Landessprecher Olaf Möller, „er kenne niemanden, der ihren Parteiaustritt bedauere“ (taz v. 18.12. 96).

Das Erschrecken seines Wählervolkes scheint für ihn nicht zu zählen. Vermutlich entscheidet die Herkunft darüber, was mehr schmerzt: Veras Kehre oder dieses Haltungsmuster. Auch wenn Vera weiland Wollenberger nicht Theologin (taz v. 18.12. 96), sondern marxistisch-leninistische Diplomphilosophin gelernt hat, ist der protestantisch-alternative Stallgeruch richtig benannt, aus dem viele alte Bündnis-90-Wählende fürs letzte Mal noch gekommen sind. Wenn die zerstrittenen Parteioberen das Bedauern dieser Klientel nicht wahrnehmen möchten, könnte sie wohl schwarz werden vor Ärger. Aribert Rothe, Erfurt

Es hätte eine gute und wichtige Kritik werden können, der Parteiaustritt von Vera Lengsfeld. Es hätte eine dringliche Forderung an grüne Parteistrategen sein können, genauer hinzusehen, wie und welche Macht sie erlangen wollen. Freilich: Der Übertritt in die CDU, der kürzeste Schritt zur Macht und Interessenpolitik, d.h. zu einer Partei, die in der Opposition ein anderes Verhältnis zur Partei der ehemaligen Machtinhaber der DDR hätte, deren Chef sich nicht scheute, eine chinesische Armee durch Besuch zu beehren, die die dortige Demokratiebewegung niedermetzelte usw. – dieser Übertritt nimmt einer solchen Kritik aus bester Bürgerrechtstradition den Stachel. Nichtsdestotrotz müssen sich die Grünen entscheiden, an welche DDR-Tradition sie anknüpfen wollen, statt sich in der Beleidigten- und Rechtfertigungsrhetorik zu üben. Die Bedürfnisse ernst zu nehmen, die sich mit einer PDS- Wahl verbinden, und Kungeleien mit Gysis und Modrows linkender Truppe auf dem Weg zur Regierungsmacht sind zweierlei. [...] Stephan Lorenz, Jena

Die Nachricht des Parteiwechsels erreichte zuerst mein Kleinhirn. Ich sagte zu mir: Mensch, mit was für Gestalten hast du da 1989 Kerzen und Händchen gehalten; für welche Charaktermasken hast du damals, insbesondere die Jahre vor 89, Solidarität praktiziert. Mein Großhirn sagte mir dann: Trotz alledem; es gab damals keine andere Alternative als die gemeinsame Front. [...] Nun wechseln Teile der sanften, zu Urchristen stilisierten Promi-Helden zur CDU – der Partei der Filbingers und Globkes; der Partei, in der die Lobby des Rüstungs- als auch des Atomgeschäfts heimisch ist; der Partei, deren Innenminister die Vorreiter sind, wenn es um Abschiebung in solche Länder geht, in denen Folter und Todesstrafe herrschen; der Partei, die zur Weltrevolution des Neoliberalismus bläst – und all das in Frage stellt, was man als bescheidene soziale und kulturelle Errungenschaften bezeichnen könnte. Das Argument Wolfgang Thierses hinsichtlich der „Blockflöten“ hat BZ-Niveau und soll wohl von der Frage ablenken, inwieweit seine eigene Partei im gleichen Sumpf wie das parteipolitisch organisierte Christentum steht. [...] Ulf Pape, Berlin

[...] Was die Übertritte der einzelnen Leute zur CDU anbetrifft, kann man enttäuscht sein, sich mächtig wundern, aber irgendwie taucht da doch bei mir die große Frage auf: Was haben die denn bisher eigentlich gewollt? So ein Wechsel der politischen Lager ist doch nicht nachzuvollziehen. Haben sie denn überhaupt gesellschaftliche oder politische Visionen gehabt? Es kann doch nicht das einzige Ziel und die Hauptbeschäftigung sein, daß Frau und Mann nur noch ein Thema haben: alle Kraft voraus – gegen die PDS. Die sind doch Opfer ihrer politischen Neurosen geworden. Eigentlich zu bemitleiden. Oder ist es manische Selbstüberschätzung? Es ist doch wohl klar, daß Vera Lengsfeld nicht wegen ihrer Unverzichtbarkeit als Einzelpersönlichkeit, sondern als Bündnisgrüne wiedergewählt wurde in den Bundestag. Wie kann sie denn die Unverfrorenheit haben, das Mandat weiter behalten zu wollen? Da bin ich nicht mehr politisch, sondern auch menschlich von ihr enttäuscht. Wolfram Roger, Bremen