■ Algerien: Islamisten drohen Frankreich mit Anschlägen
: Fünf Jahre ohne Demokratie

Fünf Jahre nach dem Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS) und dem Abbruch der Wahlen zeigt sich Präsident Liamine Zeroual zufrieden. Der Terrorismus sei besiegt, Ruhe und Frieden würden bald wieder einziehen. Angesichts der Anschlagsserie der letzten Monaten und des Drohbriefes der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) an die französische Regierung ist dies eine Farce – oder eine Notlüge?

Mit seinen Friedensversprechungen gelangen dem General gleich mehrere Staatsstreiche: ein bewaffneter, der den bürgerkriegsähnlichen Machtkampf mit den Fundamentalisten auslöste, und zwei friedliche an den Wahlurnen. November 1995 bestätigte die verängstigte Bevölkerung Zeroual im gewaltsam errungenen Amt, ein Jahr später gewährte sie ihm eine Verfassung, mit der sich das Volk als Souverän gleich selbst entmachtete. Jetzt kann der General getrost erneut wählen lassen. Denn gleich wie der Urnengang ausgeht – ändern wird sich nichts.

Das Spiel mit der Friedenshoffnung der Bevölkerung brachte den Militärs Stärke und internationale Anerkennung. Daß neben den radikalen Fundamentalisten der GIA fast das ganze politische Spektrum das Regime ablehnt, wird dabei von den meisten westlichen Ländern ebenso übersehen wie die erheblichen Menschenrechtsverletzungen.

Die Weltöffentlichkeit schreckt mittlerweile nur noch auf, wenn die algerische Bomben in Paris explodieren. Damit spielt der Drohbrief der GIA an Chirac – und leider auch Zeroual, der sich einmal mehr als „Garant der Modernität gegen die Barbarei“ verkaufen kann. Die Gewalt ist für beide Konfliktparteien lebensnotwendig.

So weisen alle Indizien darauf hin, daß die Debatte, die im Inland nicht ausgetragen werden kann, „ins Ausland verlagert wird, in die europäischen Gesellschaften, um dort auf eine Resonanz zu stoßen, wie es sie in Algerien nicht mehr gibt“, warnte ein Bericht des französischen Geheimdienstes Mitte November. Die Forderung des Europaparlaments nach einem „wirklichen demokratischen Prozeß“ scheint somit auf der Hand zu liegen. Dennoch stützen viele Regierungen Zeroual: Das IWF-Umstrukturierungsprogramm und das Geschäft mit Öl und Gas müssen weitergehen. Und dabei können freie Entscheidungen der Bevölkerung nur hinderlich sein. Reiner Wandler