Der Präsident verewigt seine Macht

Genau fünf Jahre nach den letzten freien Wahlen in Algerien sitzt der General Liamine Zéroual fester im Sattel denn je. Auch international wächst die Unterstützung – trotz allen Wahlbetrugs  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Algeriens Präsident, General Liamine Zéroual, macht Ernst: In den letzten Wochen bekommen seine Kritiker, die bei der Volksabstimmung über die neue Verfassung zum Nein aufgerufen hatten, erstmals die neue Machtfülle des Staatschefs zu spüren. Das Marionettenparlament, das nach dem Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS) und dem darauffolgenden Abbruch der Wahlen vor fast auf den Tag genau fünf Jahren von den Putschisten eingesetzt wurde, verabschiedete ein neues Parteiengesetz, um unliebsame Überraschungen bei den für das erste Halbjahr 1997 vorgesehenen Parlaments- und Kommunalwahlen von vornherein auszuschließen.

Parteien, die nicht mindestens 400 Mitglieder in 25 der 48 Bezirke des Landes vorweisen, werden als „regionalistisch“ verboten. Keine Partei darf sich „auf religiöse, linguistische, rassische oder geschlechtsspezifische Grundlagen“ berufen. Mit dieser Richtlinie ist das FIS-Verbot von Anfang 1992 endgültig festgeschrieben. Selbst die legale „Islamische Widerstandsbewegung“ (Hamas) und die Islamische Erneuerungsbewegung (Ennahda) müssen binnen zwei Monaten ihren Namen ändern und alle religiösen Inhalte aus dem Programm streichen. Die laizistische Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD) muß sich ebenfalls umbenennen. Das Wort Kultur weist auf die Berberminderheit hin – eine unzulässige „linguistische und rassische“ Anspielung.

Für die größte legale Oppositionspartei, die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), hat sich Zéroual etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Parteivorsitzender kann nur sein, wer seit mindestens sechs Jahre regulär im Lande lebt. FFS-Chef Hocine Ait Ahmed kehrte zwar bereits im Dezember 1989 aus dem Schweizer Exil zurück, doch seit wann er tatsächlich „regulär“ in Algier ist, das ist Auslegungssache der Behörden. Die FFS ist die legale Kraft, die den Militärs bisher am meisten Kopfzerbrechen bereitete. Im Januar 1992 mobilisierte sie nach eigenen Angaben eine Million Menschen zur Demonstration gegen die bevorstehende Machtübernahme durch die Armee in Algier. Vor zwei Wochen wollte die FFS erneut mit einer Großdemonstration gegen den Betrug beim Verfassungsreferendum auf die Straße gehen. Das Regime verbot den Aufmarsch. Auch ein zweiter Anlauf für den gestrigen fünften Jahrestag der letzten freien Wahl wurde nicht genehmigt.

Präsident Zéroual kann sich die harte Gangart leisten. Trotz Klagen der Opposition „über den größten Wahlbetrug seit der Kolonialzeit“ genießt er mehr internationales Ansehen denn je. Allen voran überdenken die USA ihre Algerienpolitik. Washington hatte bisher die Repressionspolitik der Militärs angeklagt und Kontakte zur FIS unterhalten. Jetzt wurde in den USA der Sprecher der verbotenen FIS-Parlamentsfraktion, Anouar Haddam, verhaftet. Seine Aufenthaltsgenehmigung sei abgelaufen, der vor drei Jahren gestellte Asylantrag abgelehnt. Haddam gilt als gemäßigt. Vor zwei Jahren unterzeichnete er in Rom zusammen mit Vertretern fünf weiterer Parteien die „Plattform für eine friedliche und politische Lösung der algerischen Krise“.

Auch die Schweiz wäre den algerischen Militärs gern zu Hilfe geeilt. Doch was im September als schlagzeilenträchtige Ermittlungen gegen drei Algerier und einen Berner Waffenhändler wegen Waffenschmuggels begann, endete jetzt als Flop. Alle Beschuldigten sind wieder frei – der Hauptzeuge, ein in Algier einsitzender Schweizer, war von den algerischen Militärs gefoltert worden.

Ein ähnliches Verfahren wegen Waffenschmuggel vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf kommt nur schleppend voran. Die vier Angeklagten, darunter die beiden Söhne des FIS-Gründers Madani Abbassi, sollen ebenfalls den algerischen Untergrund mit Kriegsmaterial versorgt haben, entweder den bewaffneten Arm der FIS, die Islamische Heilsarmee (AIS), oder die weitaus radikaleren, mit der AIS rivalisierenden Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA). Die Beschuldigten bestreiten dies. Salim und Abou al- Kassem Iqbal Abbassi waren 1993 nach dem Attentat auf den Flughafen in Algier zum Tode verurteilt worden und hatten in Deutschland Asyl erhalten. Das Verfahren, das vor Weihnachten enden sollte, wurde jetzt für die weitere Beweisaufnahme bis mindestens Ende Juni nächsten Jahres verlängert.

Auch in namhaften Publikationen findet die von Präsident Zéroual gemachte Gleichsetzung aller illegaler islamischer Gruppen immer öfter Gehör. So berichtete die britische Tageszeitung Independent Anfang Dezember über einen Zusammenschluß von AIS und GIA. Die AIS dementierte sofort. Die Presseerklärung trug ausgerechnet die Unterschrift von Cheik Ahmed Ben Aicha, und damit des Mannes, der laut Independent die Fusionsverhandlungen geführt haben sollte. „Der Journalist ist wahrscheinlich einem Geheimdienstagenten aufgesessen“, bestritt auch ein Sprecher der FIS- Auslandsleitung gegenüber der taz die Informationen. Eine solcher Zusammenschluß sei unmöglich, schließlich hätten FIS und AIS in der Vergangenheit die blutigen GIA-Anschläge auf Zivilisten immer wieder als „abscheuliche Verbrechen“ verurteilt.

Nicht immer fühlt sich Präsident Zéroual so gut verstanden. „Auf keinen Fall zu duldende offensichtliche Ignoranz“, tobte der General, als das Europaparlament sich des Themas Algerien annahm. In einer Resolution wird Zéroual aufgefordert, „einen Dialog (...) einzuleiten, um einen Konsens über eine echte demokratische Reform (...) zu erreichen und die Eskalation der terroristischen Gewalt zu beenden“. Und die EU-Kommission wird aufgefordert, „bei den Verhandlungen über das neue Europa-Mittelmeer-Assoziierungsabkommen mit Algerien den Ausbau der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte als wesentliche Elemente zu berücksichtigen“.

Ein Trost bleibt Präsident Zéroual. Der zuständige spanische EU-Kommissar, Manuel Marin, sieht das anders. Er unterzeichnete nur vier Tage nach dem umstrittenen Referendum ein 300-Millionen-Mark-Strukturhilfeprogramm – ungeachtet der neuen autoritären Verfassung, des Wahlbetrugs und der mehr als prekären Menschenrechtslage. Erst wenige Wochen zuvor hatte amnesty international in einem ausführlichen Bericht darauf aufmerksam gemacht: ai spricht von 50.000 Toten „im Namen des Heiligen islamischen Krieges und der Terrorismusbekämpfung“.

Einheimische Quellen sprechen gar von bis zu 100.000 Opfern der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung. Ungerührt davon verabschiedete sich Marin von seinen Gastgebern mit den Worten: „Ich werde der EU meine Überzeugung überbringen, daß Algeriens Präsident den demokratischen Prozeß vollenden und kommendes Jahr freie und demokratische Wahlen ausschreiben wird.“