Li Peng in Moskau auf Tuchfühlung

■ Chinas Premier will die Wirtschaftsbeziehungen ankurbeln. Grenzstreitigkeiten sind noch immer nicht ganz ausgeräumt

Moskau (taz) – Der chinesische Premier Li Peng weilt zu einem dreitätigen Besuch in der russischen Hauptstadt. Er wird der erste hochrangige ausländische Vertreter sein, der den russischen Präsidenten Boris Jelzin nach dessen Herzoperation zu Gesicht bekommt. „Die Visite markiert den formellen Beginn eines regulären Besuchsmechanismus“, ließ die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua wissen. Neben Gesprächen über wirtschaftliche Kooperation, die von chinesischen Waffenkäufen, dem Bau eines russischen Atomkraftwerkes bis zu russischer Hilfe beim Staudammprojekt „Drei Schluchten“ reicht, steht besonders die Vorbereitung des Staatsbesuchs des chinesischen Kommunistenchefs und Präsidenten Jiang Zemin im kommenden April auf der Tagesordnung.

Mit Beginn der 90er Jahre normalisierten sich die Beziehungen zwischen den ehemals verfeindeten kommunistischen Ländern. Während die Ideologie heute keine Rolle mehr spielt, blieben Gebietsfragen derweil ein heikles Thema. Die beiden asiatischen Giganten trennt eine über 4.000 Kilometer lange Grenze, deren Ost- und Westabschnitte besonders strittig waren. 1991 unterzeichneten Peking und Moskau ein Abkommen, das die Zwistigkeiten endgültig beilegen sollte. Der Gouverneur der im Fernen Osten Rußlands gelegenen Region Primorje, Jewgenij Nasdratenko, und Vertreter des russischen Föderationsrates versuchen seither, die Öffentlichkeit gegen den Vertrag zu mobilisieren: kein Fußbreit russischen Territoriums den Chinesen! So der Tenor. Wenn der Nachbar einen Zugang zum Japanischen Meer erhielte, würden die russischen Häfen auf längere Sicht leer ausgehen, befürchten sie. Dabei handelt es sich um reine Propaganda, da die Chinesen bereits über fast ein Dutzend Häfen am Stillen Ozean verfügen.

Gouverneur Nasdratenko zieht indes alle Register, um die Angst vor der „gelben Gefahr“ im Fernen Osten zu schüren. Von schleichender chinesischer Kolonisation ist die Rede, die es auch auf die dünnbesiedelten Gebiete Sibiriens abgesehen habe. Diese Vorwürfe lassen sich nicht belegen. Nur ein Moment springt ins Auge: Wo sich Chinesen niedergelassen haben, wird fleißig gearbeitet, die Wirtschaft floriert.

Konkurrenz möchte Nasdratenko seinen Landsleuten offenkundig ersparen. Eigenwillig griff er zu Maßnahmen, um den zuvor lebhaften Grenzverkehr einzuschränken. Der Warenumschlag ging drastisch zurück. Peking verfolgt die Entwicklung äußerst aufmerksam, und auch Moskau paßt das selbstherrliche Verhalten eines Gouverneurs nicht ins Konzept. Denn schon lange buhlt der Kreml um eine vertiefte Partnerschaft mit Peking. In der internationalen Arena ziehen sie in letzter Zeit häufiger am selben Strang, um dem US-amerikanischen Führungsanspruch etwas entgegenzusetzen.

Moskau unterhält nur unterkühlte Beziehungen zu Taiwan, China revanchierte sich, indem es zum Tschetschenienkrieg schwieg. Die Osterweiterung der Nato lehnen beide ab. Überlegungen einer militärisch und politischen Allianz mit China finden in bestimmten – vornehmlich imperial ausgerichteten – Politikerzirkeln Moskaus durchaus Zustimmung. Seit jeher hatte das Konzept Rußlands als einer eurasischen Macht seine Anhänger. China wäre ein willkommener Steigbügelhalter für russischen Großmachtwahn. Indes sind solche Ansichten bisher in Rußland nicht mehrheitsfähig. Und China fürchtet, eine allzu enge Allianz mit dem Nachbarn könnte dem Dialog mit dem Westen schaden. Die Nato-Erweiterung würde bei engster Kooperation automatisch zu neuer Blockkonfrontation führen mit verheerenden Folgen für die langsam genesenden Volkswirtschaften. Die anderen Länder in der südostasiatischen Region dürften nicht geneigt sein, sich einer russisch-chinesischen Dominanz zu beugen. In Moskau ist man sich dessen jetzt noch bewußt. Klaus-Helge Donath