Im Zweifel bleibt eine kleine Hoffnung

Bevor in NRW Asylsuchende abgeschoben werden, kann eine Härtefallkommission angerufen werden. Für Kritiker eine „Alibiveranstaltung“. Doch ihre Arbeit zeigt Wirkung  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Noch im Sommer schienen die Fronten klar: Für den nordrhein- westfälische Städtetag lief das ganze Ansinnen darauf hinaus, „aus politischen Gründen Umgehungen des geltenden Ausländer- und Asylrechts“ zu ermöglichen. Auf Ablehnung stieß die von der rot-grünen Koalition eingerichtete Härtefallkommission, die von ausreisepflichtigen Ausländern angerufen werden kann, aber auch deshalb, weil sie, so die Kommunallobbyisten, allein durch ihre Existenz den Eindruck erwecke, daß die Ausländerbehörden in den Kommunen Entscheidungen träfen, „die unter humanitären Gesichtspunkten der Korrektur bedürfen“.

„Erhebliche rechtliche, finanzielle und sachliche Bedenken“ meldeten auch die Verwaltungsschefs von zehn Großstädten gegenüber dem Düsseldorfer Innenministerium an, bei dem die Härtefallkommission angesiedelt ist. Es sei zu befürchten, daß die Behörden vor Ort durch die Empfehlungen der Kommission, die „gegebenenfalls nicht mit dem Ergebnis“ des rechtlichen Verfahrens der Ausländerbehörden im Einklang stünden, unter Druck gerieten.

Inzwischen sind solche Töne weitgehend verstummt. Selbst die Verwaltungen der protestierenden Oberstadtdirektoren folgen fast ausnahmslos den Empfehlungen der Kommission. Nur in drei Fällen sträubten sich die Kommunen. Anweisen kann die achtköpfige Kommission, der neben zwei Abgesandten aus der Ministerialbürokratie unter anderem Vertreter der Kirchen, des NRW- Flüchtlingsrates und von Pro Asyl angehören, die Ausländerbehörden nicht. Lösungen für Einzelfälle gibt es nur im Dialog. „Manchmal sind wir nur so eine Art Dolmetscher zwischen allen Beteiligten“, sagt Jutta Graf, die als Vertreterin von Pro Asyl dem alle zwei Wochen tagenden Gremium angehört. Ihre vorläufige Bilanz fällt so aus: „Zäh und anstrengend, aber wichtig und richtig.“

Vom Beratungsbeginn im März 1996 bis zum 31. Oktober behandelte die Kommission 224 Anträge. Für 46 von Abschiebung bedrohte Frauen und Männer endete das Verfahren mit einer positiven Empfehlung durch die Kommission, die zumeist zu einem gesicherten Aufenthaltsstatus verhalf. Insgesamt wandten sich bisher knapp 500 AusländerInnen an die Kommission. Viele von ihnen scheiterten schon an der Vorauslese. Etwa jene, die zuvor schon beim Petitionsausschuß des Landtags erfolglos ihr Glück versucht hatten. „Wir haben schon einiges bewirkt“, sagt Jutta Graf, warnt aber: „Wir können kein Asyl gewähren!“ Während linke Flüchtlingsgruppen die Härtefallkommission als „Alibiveranstaltung“ kristisieren, will die Pro Asyl-Frau weitermachen: „Es lohnt sich, weil wir die Gewichte im Einzelfall eben doch ein bißchen verschieben können, und wir spüren, daß unsere Argumente bei den Behörden auf Interesse stoße.“ Oft ist es auch umgekehrt. „Immer wieder kommen wir zu ähnlichen Ergebnissen wie die Ausländerbehörden und müssen auch wir mangelnde Handlungsspielräume eingestehen“, bilanziert Landeskirchenrat Erik Gutheil die ersten Monate seiner Mitarbeit in der Kommission.

Für die Zukunft sieht er die Gefahr, „daß wir uns verfangen in den engen rechtlichen Möglichkeiten“. Ohne grundlegende Reformen des Ausländer- und Asylrechts seien die Mängel nicht zu heilen. Die Kommission selbst macht vermehrt konzeptionelle Vorschläge, um die Bedingungen für fairere Verfahren zu schaffen. Inzwischen liegt ein 13seitiges Papier vor, das die Landesinnenminister auffordert, ein „Handlungskonzept“ für eine „bedürfnisorientierte und angemessene Überprüfung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe“ zu erarbeiten.

Daß Bürgerkriegflüchtlinge, die sich als Schüler oder Auszubildende „im vorletzten oder letzten Jahr“ des Ausbildungsgangs befinden, nun in NRW bis zum Ende ihrer Ausbildung generell geduldet werden, geht auch auf die Anregungen der Komission zurück. Einen entsprechenden Erlaß verschickte der Düsseldorfer Innenminister Franz-Josef Kniola (SPD) vor einigen Tagen.

Edgar Quasdorff, im Innenministerium die Geschäftsstelle der Kommission leitend, glaubt, daß auch künftig die Erfahrungen der Kommission in Erlasse einfließen werden, „wenn vom Einzelbeispiel auf die allgemeinen Zustände geschlossen werden kann“. Die meisten der Menschen, die bisher durch die Intervention der Kommissionsmitglieder ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erlangten, zählten zu der Gruppe der langjährig hier lebenden abgelehnten Asylbewerber. Weil sie von der Sozialhilfe lebten, war ihnen ein Bleiberecht im Rahmen der sogenannten – bundesweit gültigen – Altfallregelung verwehrt worden. In diesen Fällen konnte die Kommission immer wieder den Teufelskreis – keine dauerhafte Aufenthaltsbefugnis, keine Arbeit, Sozialhilfe, kein dauerhaftes Bleiberecht – durch Vermittlung von Arbeitsplätzen durchbrechen.

Gnädig stimmte die Kommission auch die Behörden im Fall eines jungen, straffällig gewordenen Italieners, dessen gesamte engere Familie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Hier verhinderte man die Abschiebung, nach den Worten von Quasdorff, durch „eine Art Vergleich“. Nach Gesprächen mit der Familie gaben die Behörden dem jungen Mann eine neue Chance: bleibt er künftig straffrei, darf er bleiben.

Erfolgreiche Interventionen in besonders krassen Fällen gab es gewiß auch schon früher – etwa im kirchlichen Bereich. Doch es scheint, daß es der Härtefallkommission über den Einzelfall hinaus gelungen ist, neue Gesprächsfäden zu knüpfen und Frontstellungen aufzuweichen. Jutta Graf faßt zusammen: „Es wächst das Verständnis für die Eingebundenheit der jeweils anderen Seite.“ Manches wird leichter, weil, so Erik Gutheil, „die Verwaltungen offenkundig eher geneigt sind, den Empfehlungen der Kommission zu folgen als den Ratschlägen von Privatleuten“. Die Kooperation mit den Ausländerbehörden klappt aber wohl auch deshalb relativ gut, weil deren ablehnende Entscheidungen auf größere Akzeptanz stoßen, wenn die Härtefallkommission keine Einwände dagegen finden kann. Über diesen Beitrag zur „Versachlichung und Befriedung“ freut sich der SPD-Innenminister.