Harakiri-Projekt gefährdet Hamburg

■ Transrapid bedroht ökonomische Entwicklung im Norden

Düstere Gewitterwolken ballen sich über der geplanten Transrapid-Strecke Hamburg-Berlin zusammen: Voraussichtlich 40 Prozent höhere Baukosten und eine um mindestens 25 Prozent geringere Einnahmeprognose, so neue Schätzungen im Transrapid-Konsortium, bringen das labile betriebswirtschaftliche Gebäude bisheriger Kalkulationen zum Einsturz. Nachdem das Projekt fast alle politischen Hürden genommen hat, dürfte es bald endgültig am Rechenstift der beteiligten Firmen scheitern.

Die Industrie muß bald entscheiden, soll die High-Tech-Raupe wirklich 2005 den fahrplanmäßigen Dienst antreten. Bonn spendiert für den Streckenbau 5,6 Milliarden Mark. Die Risiken für Baukostensteigerungen und die betriebswirtschaftliche Dimension des Fahrbetriebs trägt das von Siemens, Thyssen und Hochtief geführte Industriekonsortium. Anfang 1996 hatte Siemens-Vorständler Wolfram Martinsen versprochen: „Wir schließen Ende 1996 unsere Überlegungen ab. Niemand will ein Harakiri-Projekt.“ Nun fällt die Entscheidung frühestens Anfang 1997, und ein Nein wird immer wahrscheinlicher.

Die neuen Zahlen sorgten jetzt im Transrapid-Koordinierungsausschuß der beteiligten Firmen für hellste Aufregung. Wenn Thyssen, Siemens und Hochtief ihre bisherigen Kostenkalkulationen für den Bau von Strecke und Fahrzeugen nicht einhalten können, wie nun erstmals von den Projektbetreibern selbst vermutet, ist die gesamte Investitionskalkulation im Eimer. Werner Rothengatter, Transrapid-Gutachter und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministeriums, kommentiert trocken: Falls Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann nicht zusätzliches Geld aufbringe, „kann er das Kapitel Magnetbahn jetzt schon zuklappen“. Gegen solche Begehrlichkeiten hat aber Theo Waigel vorsorglich längst ein Veto eingelegt.

Nun rutscht die Kalkulation der Fahrgastzahlen deutlich unter die bislang angepeilten 14,5 Millionen Passagiere im Jahr 2010. Die Betreiber haben neu gerechnet: Schon die jetzt befürchtete Absenkung der Fahrgastzahlen auf 11 bis 12 Millionen p.a bedeutet mehr als ein Viertel weniger Einnahmen – das betriebswirtschaftliche K.o. für den Transrapid.

Dabei basiert selbst diese Prognose auf einem abenteuerlichen Kilometerpreis von 32 Pfennigen: Die einfache Fahrt kostete 90 Mark – fast das Doppelte wie im Intercity. So ein Preis läßt sich aber – wenn überhaupt – nur erzielen, wenn die Konkurrenz – Fluglinien und Eisenbahn – ausgeschaltet wird, was aus wettbewerbsrechtlichen Gründen schwierig werden dürfte. Selbst wenn Lufthansa und Bahn AG „verzichten“ sollten, könnten sich Drittanbieter – notfalls mit juristischen Mitteln – Zugang zu dieser Strecke erzwingen.

Das zwangsläufige Desaster hat, wie der Münchner Bahn-Consulter Vieregg-Rößler betont, einen schlichten Grund: Weil der Transrapid einen zentralen Teil seines Elektromotors in der Schiene verbaut hat, ist der Magnetzug schon von der Streckeninvestition her dem ICE betriebswirtschaftlich unterlegen und marktwirtschaftlich chancenlos. Vieregg-Rößler pointiert: „Der Transrapid ist wie einst der Zeppelin eine Sackgassentechnologie.“ Er sei nur als „Prestigeobjekt in Diktaturen“ vorstellbar.

Für den Standort Hamburg, so ein Planer in der Wirtschaftsbehörde, ist das Transrapid-Projekt in jedem Fall desaströs: Kommt der Transrapid, werden überhöhte Monopolpreise die Wirtschaft belasten; kommt er nicht, wurde die überfällige Investition in eine Hochgeschwindigkeits-ICE-Strecke ohne jede Not um zehn bis 20 Jahre verzögert. Spötter behaupten mittlerweile, das Transrapid-Projekt sei eine Attacke von CDU und Südstaaten gegen einen wirtschaftlichen Aufschwung im Norden.

Florian Marten