Mord auf Bestellung

■ Hinter der Fassade eines putzigen Häuschens plant ein Mann im nahen Hoya seine eiskalten Morde. Sein Name: Horst Friedrichs alias Jerry Cotton.

angsam schieben sich die Lichter des Fords nach vorne. In der Dunkelheit beträgt die Sicht höchstens zwei Meter. Dichter Regen verhängt die Straßenschluchten von Hoya. Den Rest besorgt der Nebel. Ich stecke mir einen Glimmstengel an. Hier soll Jerry Cotton wohnen?

Tatsache. Horst Friedrichs ist einer von derzeit drei Autoren, die Woche für Woche ein neues Heft und allmonatlich ein neues Taschenbuch für die Fangemeinde des New Yorker Superschnüfflers und Special Agent des FBI produzieren. Inmitten der treuherzigen 3.000-Seelen-Gemeinde Hoya verbirgt Friedrichs seine Krimi-Kaderschmiede hinter der biederen Fassade eines blitzblanken Häuschens mit Vorgarten und Carport.

Das Zentrum seiner Logistik befindet sich im Keller des Hauses. Der Weg führt an Strohsternen und Tischdeckchen vorbei – professionelle Fassade, beste Deckung. Noch eine schwere Tür, dann ist man mitten im pc-ausgerüsteten thinktank, drei Fuß unter der guten Erde von Hoya. Hier schreibt Horst Friedrichs, hier plant er seine Morde und vollzieht Gerechtigkeit.

Begonnen hat alles 1968. Der junge Friedrichs verdingte sich als freier Autor für die Bremer Nachrichten. Das Zeilengeld reichte weder zum Leben noch zum Sterben, obwohl er, damals noch mit Schere und Prittstift bewaffnet, fleißig an der Zweitverwertung seiner Texte arbeitete. Eine Anzeige im „Journalist“ bot den Ausweg aus der finanziellen Misere: Der Bastei-Lübbe-Verlag suchte Schreiber für die Jerry-Cotton-Reihe. Warum nicht, fragte sich der aufstrebende Jungjournalist, und die zweite Frage hieß: „Was kann man da bloß machen?“

Zunächstmal, wie es die Zunft verlangt, recherchieren. Friedrichs, der bis dahin niemals den amerikanischen Kontinent betreten hatte, kaufte sich einen Stadtplan von New York, einen Reiseführer und einen Stapel bereits abgehefteter Abenteuer seines Helden. Das allein brachte noch keine Idee. Die überraschte Friedrichs bei der Fernsehübertragung eines Fußballspieles. Der Kameraschwenk blieb am Gesicht eines Zuschauers hängen – natürlich, das war der Killer aus der FBI-Akte, und Friedrichs, alias Jerry Cotton, erkannte ihn sofort.

Während er als Schreiber bei den Bremer Nachrichten an den eher kleinen Ereignissen aus dem hohen Norden Deutschlands feilte, puselte er drei Monate lang am Krimi, bevor er es wagte, dem Verlag seinen ersten Cotton zu präsentieren. Er fieberte, Bastei-Lübbe aber schwieg. Monate später der erlösende Anruf des Lektors: Der Cotton made in Hoya war gekauft!

Das Honorar allerdings fiel niedriger aus als die Freudensprünge des Autors. So war er gezwungen, sich neben der leichten Muse der Spannung dem Frondienst des Lokalreporters hinzugeben: Er hatte täglich einen Aufmacher, zwei Kurztexte und fünf bis sieben Meldungen zu liefern. Als er 1970 Redaktionsleiter der Syker Kreiszeitung in Hoya wurde, kam noch das Bauen der Seiten dazu. Aber Hans Friedrichs trutzte wie ein echter FBIler den Geschossen des Bösen und bewies Nervenstärke: „Nebenbei“ kreierte er nicht nur weitere Abenteuer Jerry Cottons, er versuchte sich auch an „Kommissar X“ und der „Fledermaus“.

Mit Erfolg. Doch davon wußten nur seine Frau und er. Bei Kollegen hatte Friedrichs einen „Neideffekt“ ausgemacht und verschwieg daher sein Doppelleben. Für sie war er der Journalist, der die Lokalseiten von Hoya betreute. Punkt. Daß Horst Friedrichs immer weniger Gefallen an dieser Arbeit fand, weil der Kommerz, sprich die Anzeigenabteilung, immer stärker den Inhalt des Blattes bestimmte, registrierte niemand.

Es merkte auch niemand, daß er eine Woche lang, in der die Kaufmannschaft von Hoya sich wieder mal selbst feierte, denselben Aufmacher im Blatt plazierte, und nur die ersten zwei Sätze auffrischte, um das neueste Event im Programm anzukündigen. Dieses Ergebnis seines Testlaufes enttäuschte ihn. Niemand schien an wirklicher journalistischer Arbeit interessiert, weder LeserInnen noch Verlag. Friedrichs löste sich aus der miefigen Enge und gab seinen Entschluß bekannt, hauptberuflich Romane schreiben zu wollen.

„Mir gings um die Freiheit“, sagt er. Und die begann im Keller seines Neubaus. Zunächst gegen den Widerstand seiner Frau, die ein wenig fürchtete, ihr Gatte könne nun täglich präsent sein. Doch der erwies sich als „pflegeleicht“, wie Helen Friedrichs bemerkt. Horst Friedrichs gefiel es in seinem selbstgewählten Keller-Exil, von wo er sich schreibend täglich nach New York bewegte. Auch die Meere bereiste er, als er für einen anderen Verlag eine „Seewölfe“-Serie begann. Ganz nebenbei publizierte er noch ein paar Gruselstories, Science Fictions und kämpfte mit Westernheld „Lassiter“ für die Gerechtigkeit.

Daß dabei nur die Namen der Pferde wechseln, nicht aber die Stories, dementiert der Autor vehement: „Das Westernpublikum kennt sich aus“, versichert er. Die LeserInnen würden Wiederholungen oder Falschheiten sofort bemerken. Dasselbe gilt für die Jerry-Cotton-Serie. Der FBI-Agent, erklärt Friedrichs, hätte, allein von Sprachbausteinen ernährt, wohl kaum seinen 40. Geburtstag erreicht, der im vergangenen Jahr gefeiert wurde.

Um anständige Plots zu entwickeln, bedarf es, verrät der Autor, nicht allein einer Idee, sondern fundierter Kenntnisse auf den verschiedensten Gebieten. Wie funktionieren die todbringenden Ballermänner, die U-Bahnen, die Psyche einer Frau und das Taxi-System? Das alles muß er wissen. Darum bildet sich der Autor, indem er noch mehr liest als schreibt, im Internet surft und direkte Kontakte zum FBI und zum New York Police Department (NYPD) in Manhattan unterhält.

„Kein Heft gleicht dem anderen“, versichert Friedrichs. Er muß es wissen, denn er produziert nicht nur zwei Hefte im Monat, deren Auflage bei etwa 60.000 Stück liegt, sondern in derselben Zeit zusätzlich ein Jerry-Cotton-Taschenbuch. Auch die feiern hohe Auflagen bei einem Publikum, das sich nach Verlagsangaben zu einem Drittel aus Spiegel-Lesern zusammensetzt. Nicht genug: Seit 1991 schreibt Horst Friedrichs unter dem Pseudonym Ken Roycroft zusätzlich Bücher zum Film. Darunter so namhafte wie „Jurassic Parc“, „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ oder „Wild Palms“, das Taschenbuch zum großen Oliver-Stone-Film, den das RTL 2 ausstrahlte.

Bücher zum Film sind in Mode gekommen. Sie verkaufen sich gut, wenn der Film gut läuft und es keine Romanvorlage gibt. Viele Verlage haben sich in dieses Geschäft gehängt. So kommt es zu einer harten Konkurrenz um die Rechte, manchmal mit der Folge, daß das Buch zu spät beim Autor bestellt wird. Ganze zehn Tage standen Ken Roycraft zur Verfügung, um das Buch zu „Wild Palms“ zu schreiben. Ihm standen weder Dreh- noch Dialogbuch zur Verfügung. Alles, was man dem Autor in der Eile gewährte, war die einmalige Vorführung des Films in amerikanischer Originalfassung.

„Das war die absolute Härte“, gesteht Horst Friedrichs, schreckt aber mittlerweile selbst vor solch knappen Zeitvorgaben nicht mehr zurück. „Ich bin es gewohnt, unheimlich ranzuklotzen.“ „Aber das muß er haben“, ergänzt Helen.

Auf mehr als 500 auflagenstarke Romane bringt es der Mann aus Hoya inzwischen. Damit liegt er kurz hinter einem Branchenkollegen, der, Simmel hin oder her, nach den Recherchen des Focus hierzulande der meistgelesene Autor ist. Mit einer Gesamtauflage von etwa 70 Millionen Exemplaren – vor allem als Jerry Cotton – gehört er zu den meistgelesenen deutschen Romanautoren. Horst Friedrichs erfüllt das durchaus mit Stolz: „So gesehen gehöre ich wahrscheinlich zu den ersten zehn Autoren in Deutschland. Nur uns kennt eben keiner.“

Das aber soll sich ändern. Vor wenigen Tagen ist der erste Roman unter dem offiziellen Namen des Autors erschienen, sozusagen das „Debutwerk“ von Horst Friedrichs. „Hüttenzauber“ heißt der Krimi, der sich ganz heimatverbunden gibt: Der niedersächsische Thriller spielt im Dartmoor zwischen Hannover, Nienburg und Bremen.

Dora Hartmann