■ Vorschlag
: Weiterhin vollschmusiger Ansatz: Nikolai Tomás im Franz-Club

Jahrelang hat sich Nikolai Tomás durch die Westberliner Musikszene geschlagen als der Mann mit dem dreistesten Pop-Appeal und den unerfülltesten Erwartungen. Mit den Poems for Laila spielte er einen fröhlichen, mit osteuropäischen Weisen angereicherten Schunkelpop, der aber immer nur live zünden wollte. Dazu guckte er unter dunkler Lockenpracht dackelgleich ins Publikum, wo die Herzen im Dutzend schmolzen. Irgendwann aber mußte er feststellen, daß die Poems zwar ihren Mann halbwegs ernährten, aber „ich mich für eine andere Stylistik interessiert habe“.

Also wurden die Poems „zum Hobby“, wie er es selbst nennt, und statt dessen das autodidaktisch erworbene Elektronikwissen umgesetzt. Nun entwickelte man sich innerhalb von zwei Jahren nicht zum Turntabel-Virtuosen, aber gerade aus einer gewissen Unbedarftheit zieht die Umformulierung des weiterhin vollschmusigen Ansatzes von Tomás ihren Reiz. So gibt der Neu-DJ unverblümt zu, daß der eine oder andere Rhythmus-Track gerade deshalb so groovt, weil die Loops schlampig geschnitten sind. So wird der Sampler dann doch wieder zum lebendigen Instrument mit Fehlbarkeitsgarantie. Oder er tut zumindest so, damit die vorsichtig tröpfelnden Tracks sich nicht allzuweit von Tomás und seiner Stimme, die keine große Geste ausspart, entfernt.

Diese Stimme ist weiterhin sein Markenzeichen, auch wenn vieles „ruhiger gesungen“ ist. Die Polka als Ekstase-Ersatz, beliebtes Mittel der Poems for Laila, auch noch den trantütigsten Haufen auf Vordermann zu bringen, sucht man vergebens. Seine Samples zog sich Tomás von alten Jazz-Platten, die er „auf dem Flohmarkt für eine Mark“ erworben hat. Zur musikalischen Kehrtwende paßte, daß sich zum letzten Silvesterfest eine Rakete in seinen Haaren verfing. Ein zeitgemäßer Kurzhaarschnitt war die Folge. Für Tomás „ein Schicksalsschlag, der genau in die richtige Richtung ging“.

Auch wenn er in Abrede stellt, seine Wandlung hinge mit dem Alter zusammen, muß er doch zugeben, daß sich ein „Image über die Jahre Schritt für Schritt entwickelt“. Und er hat immer noch Mühe, von dem seinen loszukommen. Seine nun wohltemperierten Popsongs scheinen zwar ebenso massenkompatibel, wie es damals der Gute-Laune-Folk seiner vorläufig zu den Akten gelegten Kapelle gewesen war. Allein, der überwältigende Erfolg wollte sich damals und will sich auch heute nicht so recht einstellen. Irgendwie bleibt er mit seinen großen Gefühlen und dieser Stimme, die immer einen Tick zuviel will, weiter zwischen allen Stühlen hängen. Thomas Winkler

Heute, 22 Uhr, Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg