Kreuzberg statt L.A.

Von einer Band, die auszog, um Rockmonster zu werden: Skew Siskin versuchen sich nach dem amerikanischen Debakel mit neuer Platte wiederaufzurappeln  ■ Von Thomas Winkler

Das Jahrzehnt ging zu Ende, und auf einmal war alles möglich. Gerade mal eine Handvoll Konzerte gespielt, und schon erschallte der Ruf aus dem fernen Los Angeles. Ein Plattenvertrag sei in Aussicht, hieß es. Die Amerikaner seien schier aus dem Häuschen wegen der kleinen Berliner Band. Doch die Neunziger sind keine Zeit für Märchen. Die Erfolgsmeldungen blieben aus. Als es keine Nachrichten mehr gab, begannen die ersten zu tuscheln. Irgendwann hörte dann auch das Tuscheln auf, und es schien so, als würden Skew Siskin überhaupt nicht mehr existieren.

„Als wir zurückkamen, habe ich gehört, was die Leute so über uns gelästert haben“, erzählt die 26jährige Sängerin Nina C. Alice, „die meinten, wir seien größenwahnsinnig geworden.“ Berlin, Kreuzberg vor allem, spricht die Kodderschnauze in Nina, ist eben nur ein „kleines Dorf“. Der halbjährige Ausflug in die Staaten erschien ihnen damals logisch, denn hierzulande machte man in den Anfangstagen der Band obskure Erfahrungen auf der Suche nach einem Plattenvertrag: „Die haben gesagt, wir nehmen die Band, aber ohne Sängerin. Oder: Wir nehmen nur die Sängerin, der Rest der Band interessiert uns nicht.“

In dieser Zeit hatte sich ein Demo-Tape des Quartetts in die USA verirrt, das auch noch im Radio gespielt wurde. Also beschlossen sie, auf eigenes Risiko den Sprung zu wagen. Angekommen in Los Angeles stellte sich das mit dem Airplay zwar nicht so großartig heraus, aber von irgendwas muß man ja leben. Also begannen sie sich in den örtlichen Clubs einen gewissen Ruf zu erspielen, der schließlich auch zu einem Plattenvertrag führte. Doch plötzlich steckten sie in ganz altmodischen Rockstarproblemen, als wären sie schon in den Rockmonsterclub aufgenommen: Ihren ersten Manager mußten sie feuern, als sie mehr mit ihren Schulden als mit der Musik beschäftigt waren. Die Plattenfirma, bei der 1992 schließlich der Erstling erschien, wechselte den Vertrieb, und niemand in der Organisation interessierte sich mehr für unsere kleine Rockband. Dann wurden sie als Vorgruppe bei Motörhead ausgeladen: „Die Tour hat dann Rage mitgemacht und entsprechend Erfolg gehabt.“ Einiges lief damals in Fluren und Bürofluchten ab, was sich Nina „bis heute nicht richtig erklären kann“. Und Skew Siskin drohten im schwarzen Loch des Bürokratismus zu verschwinden.

Als sich doch noch alles zum besseren zu wenden schien, der neue Manager, der zuvor schon Aerosmith und Leonard Cohen die Millionen zugescheffelt hatte, alles geordnet hatte, und sie sich gerade ins Vorprogramm von Black Sabbath einkaufen wollten, verabschiedete sich der Trommler und ging zurück nach Berlin, weil seine Freundin ein Kind erwartete. „Ich habe ihn menschlich verstanden“, sagt Alice heute, aber damals vor drei Jahren war sie nicht begeistert. „Seit ich neun Jahre alt war, wünsche ich mir, mal mit diesen Bands auf Tour zu gehen. Mein Vater hat immer Black Sabbath gehört. Ich finde es traurig, wenn man Träume hat, und die scheitern dann so.“

Die erste Platte als Import aus Japan

Frustriert kamen Alice, ihr Lebensgefährte, Gitarrist und Hauptsongschreiber Jim Voxx und Bassist Jogy Rautenberg wieder zurück ins heimatliche Berlin und mußten feststellen, daß man sich nicht einmal mehr das Maul über sie zerfetzte. Statt dessen kriegten sie zu hören, daß sie sich doch eigentlich aufgelöst hätten. Die Major-Firma, die für den Vertrieb in Deutschland zuständig gewesen wäre, kümmerte sich nicht. Wohl fand sich die erste Platte in manchem Laden, aber als Import aus Japan. Von dort haben Skew Siskin noch nie eine Abrechnung bekommen.

„Eigentlich waren wir schon ziemlich weit“, seufzt Alice. Nun mußten sie plötzlich wieder bei Null anfangen. Oder schlimmer: sich ständig gegen Vorurteile und Häme wehren. Die Großkotze, die glaubten, sie seien Rockstars, und dabei auf die Fresse gefallen sind. „Die letzten drei Jahre waren ziemlich hart für uns.“ Und wenn sie von einem Journalisten gefragt wird, und das kommt nicht so selten vor, wie es denn so sei als Rockstar, „dann kann ich nur lachen“. Allein die Schulden addieren sich zu stattlichen Beträgen, und auch das Studio von Jim Voxx, das den Namen Monongo trägt und in dem der ehemalige Gitarrist der Berliner Pubrock-Legende PVC immerhin Jingo de Lunch in deren Glanzzeit produzierte, wirft kaum noch etwas ab.

Also machte man sich nach der Rückkehr erst mal auf die Suche nach einem neuen Trommler und fand ihn in Form von C. Chrash Klick. „Weil wir nicht genau wußten, wie es weitergeht“, erzählt Voxx, „haben wir die Platte erstmal allein fertig gemacht.“ Im eigenen Studio und mit viel Zeit, denn der Rest der Band muß sich mit Taxifahren oder Kachelnverlegen über Wasser halten.

Herausgekommen ist „Electric Chair Music“, erst die zweite LP in nun bald acht Jahren Bandgeschichte. Und wie schon auf ihrem Debüt, das sich weltweit immerhin 40.000mal verkaufte, sind die siebziger Jahre auch hier für Skew Siskin „eine ständige Anregung“, formuliert es Voxx zurückhaltend. Wenn man ihn, der nicht verraten will, wie alt er ist, sich so ansieht mit seinem schlabbrigen Netzhemd und den schwarzgefärbten Haaren, ließe sich auch leicht vermuten, daß sich da einer abarbeitet. „Aus den Siebzigern kommen halt die besten Sachen“, glaubt Voxx. Das Wort Metal hört er er nicht so gern, den klassischen Hardrock der Siebziger, das ist sein Ding. Und mit der Psychedelia zusammen einer der beiden Eckpfeiler der eigenen Musik. Auch da orientiert er sich an den Klassikern aus den Sechzigern wie Syd Barrett. „Momentan ist es Mode, jedem Song eine andere Stilrichtung zu geben, uns reichen die beiden völlig aus.“ Wenn Voxx nicht über seine eigene Musik spricht, sondern über das, was heutzutage sonst noch so läuft, sieht sein Gesicht gleich noch mal so verhärmt aus.

Comeback-CD so gut wie ausverkauft

Eine Plattenfirma hat sich dann recht schnell gefunden, und die erste limitierte 5.000er-Auflage des Comebacks ist schon so gut wie weg. Auf der Bonus-CD „Voices of War“, die demnächst einzeln erscheinen wird, hat Nina ein Duett mit Motörheads Lemmy gesungen, der sich zum Freund der Band entwickelt hat, seit er 1994 einfach mal so vor der Tür des Studios stand und irgendwann verkündete: „They are the best band in the world right now.“ Aber trotz berühmter Freunde sitzt die Band, die aufgebrochen war, um Rockmonster zu werden, heute nicht am Strand von Malibu, sondern zusammen mit einem Haufen Kanarienvögel in einer Altbauwohnung in Schöneberg. Und hofft auf die typische Spirale: „Wenn die Platte anfängt, besser zu laufen, dann kriegst du bessere Gigs, dann gibt es mehr Publicity, dann verkauft sich die Platte besser ...“

Mehr als Hoffnung bleibt auch nicht. „Im Moment kann keine Sau davon leben, was wir hier machen. Aber ich mache niemals einen vernünftigen Job“, hat Alice sich entschieden. „Wenn die Band mit dieser Platte nicht dahin kommt, wo es angenehm wird, dann man wir halt die dritte Platte. Und dann die vierte.“

Skew Siskin: „Electric Chair Music“. Gun/BMG