■ Exhumierungs-AG „Der Spiegel“
: Aufpolierte Absteiger der Politik

Daß das deutsche Nachrichtenmagazin aus Hamburg alle zwei, drei Jahre in seiner Weihnachtsnummer den Leibhaftigen ausgräbt, ist nicht sonderlich neu. Mal hält der fromme Johannes Paul II. den Beelzebub am Schwänzchen, mal darf der längst zu den Glaubensakten Gelegte in Großaufnahme den Leser zum Kaufe verführen; die diesjährige Nummer verbindet beides, Himmel und Hölle: „Der göttliche Teufel“.

Neu dagegen ist, oder jedenfalls relativ neu, daß sich der Spiegel nun auch noch als Exhumierungsanstalt von Politleichen versteht. Das begann schon im Vorjahr, als die Nachrichtenmagazinler dem seit 1993 aus der Politszene gefeuerten und aufgrund mehrerer böser Prozesse nur noch vor und im Gerichtssaal auftreibbaren Giulio Andreotti, ehedem siebenmal Ministerpräsident, ein schönes Verteidigungsinterview mit feinen Stichworten zu seiner Entlastung eingerückt hat. Nun, Ende 1996, ist es der ebenfalls vormals als Regierungschef tätige, inzwischen rechtskräftig zu fünfeinhalb Jahren Haft und in unteren Instanzen zu gut weiteren zwanzig Jahren verdonnerte Bettino Craxi, der sich breit und ungestört von professionellen Nachfragen über die bösen Strafverfolger und die angeblich in seinem Lande herrschende Diktatur der Staatsanwälte ausbreiten darf. Volle dreieinhalb Seiten, auf denen er flunkert, daß die Wände wackeln, etwa daß er allenfalls mal Spendengelder für seine Partei angenommen habe, niemals aber selbst kassiert – keine Andeutung auch nur einer Nachfrage, wie das denn mit dem Millionen-Dollar- Konto in der Schweiz („Conto protezione“) und den vielen Dutzend Millionen in Hongkong ist, die die Ermittler aufgespürt haben, zu denen ausschließlich er Zugang hatte und von denen die Sozialistische Partei – die 1994 in Konkurs gegangen ist – nicht eine Lira gesehen hat. Am Ende klingt dann auch noch das Spiegel-übliche „Herr Craxi, wir danken Ihnen für dieses Gespräch“ so, als sei es eine rechte Gunst von der nach Tunesien ausgerückten Politleiche, einem ein Interview zu gewähren – und nicht umgekehrt so, daß der Mann derzeit verzweifelt Medien sucht, die ihn noch bringen.

Was ist nur los mit dem einst stets vornedran marschierenden Spiegelein? Da startet der Chef eines der größten Privatkonzerne, Cesare Romiti von Fiat, einen Frontalangriff gegen den Zutritt Italiens zur gemeinsamen Währung; da droht der Industriellenverband offen, die demokratisch gewählte Regierung werde „hinweggefegt“, wenn sie den Unternehmern nicht zu Dienste sei, da schleift eine unsägliche Kampagne der Mitte-Links-Koalition alle Anstrengungen der Strafverfolger zur Ausmerzung der Korruption und stellt die Weichen zu einer großen Koalition mit dem wichtigsten Angeklagten, Silvio Berlusconi – doch all das kommt im Spiegel nicht vor, dafür aber Craxi, der Meisterabsahner der Nation, den nach Umfragen nicht einmal mehr drei Prozent der Italiener aus seinem Exil in Hammamet zurückhaben wollen.

Das Verhältnis von Spiegel und Italien ist wohl immer noch irgendwie getrübt. Seit sich respektlose Ermittler vor zwei Jahrzehnten erfrecht haben, Chef Augstein wegen einiger Dutzend Gramm Haschisch vorübergehend einzulochen, gilt das Land der Zitronenblüte eben nicht mehr allzuviel. Und umgekehrt: Seit Jahren haben sich die jeweils neu gewählten Regierungschefs angewöhnt, ihre ersten Interviews nicht mehr dem Spiegel zu geben, sondern erst mal den Korrespondenten anderer Länder – und in Deutschland lieber der Welt oder der Zeit. Man sieht, auch noch so blanke Spiegel werden eines Tages blind. Werner Raith