Standort Korea in Gefahr

■ In Südkorea gehen Hunderttausende Beschäftigte gegen neue Arbeitsgesetze auf die Straße. Die Wirtschaft ist praktisch lahmgelegt, die Regierung droht mit Härte

Seoul/Berlin (rtr/wps/taz) – In Südkorea hat sich gestern der gemäßigte, legale Gewerkschaftsdachverband FKTU mit 1,2 Millionen Mitgliedern den landesweiten Streiks angeschlossen. Rund 350.000 Arbeiter legten über 150 größere Fabriken in sämtlichen wichtigen Exportbranchen des Landes lahm, vor allem in der Auto-, Werft-, Textil- und Schwerindustrie. Schätzungsweise 5.500 Unternehmen sind betroffen. Beim Konzern Hyundai, wo bereits im Juni Streikende die Autoproduktion stillegten, traten 65.000 Arbeiter in den Ausstand. Zudem legte gestern das Pflegepersonal in 14 Seouler Krankenhäusern die Arbeit nieder, heute soll die U-Bahn stillstehen.

Bereits jetzt wird davon gesprochen, daß dies der größte Streik in der südkoreanischen Geschichte sei. Der Ausstand, der ursprünglich auf 24 Stunden angesetzt war, solle mindestens bis Jahresende fortgesetzt werden, kündigte Gewerkschaftschef Park In Sang an.

Am Donnerstag war die Streikwelle angerollt, nachdem die Regierungsparteien im Parlament in einer frühmorgendlichen Sitzung in Abwesenheit der Opposition neue Arbeitsgesetze verabschiedet hatten. Sie sollen den Arbeitgebern Kündigungen vereinfachen, den Einsatz von Streikbrechern erleichtern und bei Bedarf Arbeitszeiten bis zu 56 Wochenstunden ermöglichen – dabei arbeiten südkoreanische Arbeitnehmer im Durchschnitt bereits 49 Stunden pro Woche. Das noch aus Zeiten der Militärdiktatur stammende Arbeitsrecht, das die progressiveren Gewerkschaften nach wie vor verbietet, soll dagegen nicht wie versprochen zum Jahreswechsel, sondern erst im Jahr 2000 liberalisiert werden.

Die Regierung argumentiert wie üblich, daß eine Lockerung der Gewerkschaftsgesetzgebung aufgrund der Bedrohung durch Nordkorea nicht möglich sei. Vor allem aber beruft sie sich darauf, daß der Standort Korea in Gefahr sei. Angesichts nachlassender Exporterlöse seien Kostenentlastungen für die Industrie unabdingbar, um die koreanische Wirtschaft international konkurrenzfähig zu halten. Im vergangenen Herbst beschloß die OECD, Südkorea in den Club der Reichen aufzunehmen – gegen den Preis einer Marktöffnung. Das „Tiger“-Land muß in diesem Jahr ein Handelsbilanzdefizit von 20 Milliarden US-Dollar hinnehmen, doppelt soviel wie im Vorjahr.

Nach Jahreswachstumsraten von rund zehn Prozent in den 80er Jahren hat sich das Wachstum auf „nur“ 6,8 Prozent verlangsamt. Die Arbeitgeber klagen, die Löhne hätten sich allein in den letzten drei Jahren verdoppelt. Der koreanische Elektronikkonzern Samsung erwägt bereits Produktionsverlagerungen ins Billiglohnland Malaysia.

Zugleich will die koreanische Arbeiterschaft nicht mehr dulden, daß ein Land, das gemessen an der Wirtschaftsleistung weltweit an neunter Stelle steht, die Arbeiterrechte zum Teil mit Füßen tritt. „Entwicklung hängt nicht nur vom Bruttosozialprodukt ab“, hatte schon 1994 der Vorsitzende einer der illegalen Gewerkschaften, Park Tae Joo, auf einem DGB- Kongreß erklärt.

Die Regierung reagierte zwiespältig auf die Streiks. Einerseits erklärte der Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Han Sung Soo im Fernsehen, das Kabinett wolle so bald wie möglich dem Parlament einen Gesetzentwurf vorlegen zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung. Damit sollen die Berufsausbildung verbessert, Facharbeitern mehr Chancen eingeräumt und die Einkommen stabilisiert werden.

Andererseits sagte Han, die Streiks seien illegal. Die Regierung werde sie auf keinen Fall hinnehmen. Vertreter der Justiz sprachen davon, die Polizei einzusetzen, wenn die Streiks fortgesetzt werden. Kwon Young Gil, Chef des illegalen, aber geduldeten Koreanischen Demokratischen Gewerkschaftsbundes, hatte gedroht, falls Gewalt zur Beendigung der Streiks angewendet werde, „dann werden wir kämpfen, bis wir die Regierung Kim Young Sam gestürzt haben“. Kwons Gewerkschaft vertritt nach eigenen Angaben ein halbe Million Mitglieder. lieb