Der König der Kleinen Anfragen

Was steckt in Chemietoiletten? Führen Diebstahlsicherungen etwa zum Herzinfarkt? Klaus Lennartz, Bundestagsabgeordneter der SPD, geht Ministerien mit vielen kleinen Fragen auf die Nerven  ■ Von Markus Franz

Zahlreich sind die Helden des Sommerlochs und der Winterflaute, diejenigen Hinterbänkler, die sich ausschließlich während der nachrichtenarmen Zeit mit abstrusen Vorschlägen in die Schlagzeilen bringen.

Klaus Lennartz gehört nicht dazu. Der SPD-Bundestagsabgeordnete ist das ganze Jahr über präsent. Und seine Anregungen sind so abstrus nicht, sie haben eben nur nichts damit zu tun, was manche gemeinhin große Politik nennen. Klaus Lennartz, der hyperaktive Rheinländer, ist der ungekrönte König der Kleinen Anfragen, „dem klassischen Mittel der Abgeordneten zur Kontrolle der Regierung“, wie es in einem Bundestagshandbuch heißt. Zufrieden schmatzt Lennartz und sagt: „Anfragen sind mein Spezialgebiet.“ Die Sache mit dem Jod 131 etwa, „die ist Zucker“.

Eigentlich waren wir aber nur wegen einer anderen netten kleinen Geschichte auf den 52jährigen aufmerksam geworden.

Da ist diese Sache mit den Chemietoiletten. In einer unscheinbaren Pressemitteilung heißt es: „Auf Umwelt- und Gesundheitsprobleme durch die zunehmende Verwendung von Chemietoiletten weisen Mitglieder der SPD-Fraktion hin. Sie möchten in einer Kleinen Anfrage (13/5250) von der Bundesregierung wissen, wie viele Chemietoiletten sich nach deren Erkenntnissen im Bundesgebiet im Einsatz befinden.“ Der Initiator ist Klaus Lennartz. Wie um Gottes willen kommt nur jemand darauf, die Zahl der Chemietoiletten im Bundesgebiet herausfinden zu lassen? Und welcher arme Teufel muß das bloß beantworten?

Wenn Lennartz, elegant gekleidet mit Weste, gestochen scharfen Bügelfalten, Siegelring und silbernen Manschettenknöpfen, in seiner rheinischen Art erzählt, kommen einem selbst Kleine Anfragen wie das pralle Leben vor. „Vor Jahren wollte ich mit meiner Tochter in den Kurzurlaub“, beginnt Lennartz. „Nehmt den Capingwagen mit“, hat meine Frau gesagt. Also, Lennartz fährt, kommt zurück und will die Chemietoilette entsorgen. Leider passiert ein Mißgeschick, und alles fließt auf die Straße. Zufällig kommt ein guter Bekannter vorbei und sagt: Weißt du eigentlich, wie schädlich das ist? Davon können Kläranlagen umkippen.“ Lennartz macht sich ans Werk.

Der gelernte Versicherungskaufmann informiert sich bei Experten über die Sachlage, formuliert seine Fragen, sucht unter seinen Fraktionskollegen die notwendige Zahl von 34 Mitunterzeichnern (fünf vom Hundert der Bundestagsabgeordneten) und schickt seine nun als Kleine Anfrage deklarierte Frageliste an das Parlamentssekretariat. Über die Bundestagspräsidentin, die über die Zulassung entscheiden muß, geht die Kleine Anfrage weiter an das zuständige Ministerium, in diesem Fall das Umweltministerium.

Die Antworten, fristgemäß innerhalb von 14 Tagen, sind ernüchternd: „Hierzu liegen keine Informationen vor“, heißt es zu erstens, „nähere Angaben liegen nicht vor“ zu zweitens und „Ist der Bundesregierung nicht bekanntgeworden“ zu drittens. Lennartz ist nicht schlauer als zuvor.

Niemand kann der Bundesregierung vorschreiben, welchen Aufwand sie für die Beantwortung betreiben will. Doch Lennartz ist zäh. Drei Jahre hintereinander fragt er immer wieder nach. In diesem Jahr ergänzt um Fragen, die um Formaldeyhd in Chemietoiletten kreisen. Jemand hatte sich bei ihm mit den Worten gemeldet: „Sie sind doch der mit den Chemietoiletten“, und Lennartz darauf aufmerksam gemacht, daß formaldehydhaltiges Abwasser aus Chemietoiletten zu Gesundheits- und Umweltschäden führen kann. Die Bundesregierung antwortete: „Gesundheitsschäden: nicht bekanntgeworden.“

Federführend für diese Antworten ist Ministerialrat Rolf-Dieter Dörr im Umweltministerium. Auf Lennartz ist er nicht gerade gut zu sprechen. „Seitdem der nicht mehr Landrat im Erftkreis ist, bombadiert er uns mit Anfragen.“ Was er von der Anfrage mit den Chemietoiletten hält? „Wir wollen doch wirklich keine Chemietoiletten zählen.“ Ein Kollege ergänzt: „Das wäre der Orwellsche Staat pur.“ Dennoch hat das Umweltministerium mit der ungeliebten Anfrage gut zu tun. Insgesamt fünf Referate wurden mit dem Sachverhalt befaßt. Dazu das Bundesumweltamt. „Man guckt, ob man Zahlen hat, wenn nicht, dann läßt man es“, erklärt Dörr die Arbeitsweise. Bei einer Großen Anfrage hätte er vielleicht den ADAC oder Wohnmobilclubs angeschrieben. Drei bis vier „Manntage“, rechnet Dörr, sind für die Beantwortung der Kleinen Anfrage draufgegangen.

„Typische Überheblichkeit deutscher Beamten“, nennt Lennartz die Kritik an seiner Anfrage. „Vielleicht sind ja einige Fragen überflüssig, aber das zu beurteilen, ist nicht deren Sache.“

Unverdrossen schöpft er weiterhin aus dem vollen. „Ich mache immer pralles Leben“, sagt er. Da ist etwa die Sache mit den Herzschrittmachern. „Ein echter Renner.“ Ein Mann mit Herzschrittmacher kippte in einem Einkaufszentrum in Hürth an der Kasse um. Mögliche Ursache: Elektromagnetische Beeinflussung durch die Diebstahlsicherung. Lennartz, gebürtiger Hürther und SPD-Vorsitzender des Erftkreises, nahm sich der Sache an, stellte eine Kleine Anfrage. Die Bundesregierung antwortete nach dem Motto: Problem erkannt. Danke schön. Erst später, so Lennartz, habe er erfahren, daß der Bundesregierung eine Studie bekannt sei, die den Einfluß elektronischer Diebstahlsicherungen auf Herzschrittmacher bestätige. Auf seine Nachfrage, warum dies bei der Antwort auf die Kleine Anfrage verschwiegen worden sei, habe man ihm erklärt: „Nach der Studie haben sie ja nicht gefragt.“ Zur Zeit vekehrt Lennartz schriftlich mit Gesundheitsminister Seehofer.

Oder nehmen wir die Sache, „die heiß ist, heiß, wie nur irgendwas“. Es geht um Stoffe im Trinkwasser, die zur Verweiblichung der Männer führen. In den Everglades sind schon männliche Krokodile verweiblicht, berichtet Lennartz. Nachdem die Bundesregierung das Problem eingestanden, aber nichts unternommen hat, bereitet er eine Große Anfrage vor, die im Gegensatz zu der Kleinen Anfrage im Bundestag beraten wird. Doch so etwas will gut vorbereitet sein. Der parlamentarische Geschäftsführer müßte etwa 10.000 Mark bewilligen. „Manchmal“, sagt Lennartz nachdenklich, „fragt man sich, ob man angesichts von vier Millionen Arbeitslosen nichts besseres zu tun hat.“ Aber das verfliegt.