„Priorität hat, was sich in Nutzen messen läßt“

■ Die Geisteswissenschaften geraten zunehmend in eine aussichtslose Situation, sagt Dieter Simon, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

taz: Herr Simon, muß das Max- Planck-Institut für Geschichte in Göttingen wegen fehlender Mittel geschlossen werden?

Dieter Simon: Wir sind uns alle einig: Es muß gespart werden. Aber die Geisteswissenschaften machen im Gesamtbudget der Max-Planck-Gesellschaft gerade fünf Prozent aus und sind insofern nicht mehr als ein schöner Appendix. Ich finde es nicht richtig, daß man in dieser kleinen Sektion ein Institut einsparen will und schon gar nicht das für Geschichte in Göttingen.

Steht die geplante Schließung für den Trend in der Forschung, daß nämlich die Naturwissenschaften munter gefördert werden, während die Geisteswissenschaften draufzahlen müssen?

Die Geisteswissenschaften geraten tatsächlich in Bedrängnis. Zunächst sind sie an den Universitäten in eine nahezu aussichtslose Situation geraten. Die Geisteswissenschaftler sollen bei weniger Geld, zeitlich befristeten Verträgen und steigenden Studentenzahlen auch noch forschen. Das ist kaum möglich. Aber sie haben auch kaum eine Chance, außerhalb der Universitäten zu forschen. Die Naturwissenschaften hingegen haben riesige Organisationen wie die Fraunhofer Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und die Großforschungseinrichtungen im Rücken. Denen kann nichts passieren. Aber auch der Trend bläst den Geisteswissenschaften ins Gesicht: Allem Anschein nach wird für den Standort Deutschland alles auf eine rein utilitaristische Karte gesetzt. Priorität hat für die Forschung, was sich in meßbaren Nutzen umsetzen läßt.

Insofern scheint die geplante Schließung in Göttingen diesen Trend zu bestätigen. Allerdings bin ich davon überzeugt, daß Herr Markl, der Präsident der Max- Planck-Gesellschaft, keineswegs den Eindruck erwecken wollte, er beabsichtige, sich von den Geisteswissenschaften zu verabschieden. Die zur Diskussion stehende Schließung ist daher ein unkluges Signal.

Hubert Markl wundert sich, daß es wegen des Göttinger Instituts so viel Aufregung gibt. Schließlich gebe es ja noch 700 Lehrstühle für Geschichte an den deutschen Universitäten

Ich halte dieses Argument der Subsidiarität für nicht besonders überzeugend, denn das gilt auch für andere, zum Beispiel für die Juristen. Als Jurist weiß ich, daß etwa das Strafrecht ein ganz kleines Segment im wirklichen Leben darstellt. Das legt die Überlegung nahe, womit ein Max-Planck-Institut für internationales Strafrecht gerechtfertigt ist.

Welche Bedeutung hätte die Schließung des Göttinger Instituts für die Geschichtswissenschaft?

Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten: Wenn es das Institut nicht mehr gibt, ist die deutsche Geschichte nicht kaputt. Andererseits ist es ein ungeheuer innovatives Zentrum mit hervorragenden internationalen Beziehungen. Jetzt haben wir so etwas mal in Deutschland, da sollte man das nicht so eben zumachen.

Markl hat die geisteswissenschaftliche Sektion aufgefordert, Alternativen zur Schließung zu entwickeln.

Ja, und im Grunde steht die Schließung in Göttingen nicht mehr zur Debatte. Durch Markls Vorschläge ist Bewegung in die Szene gekommen. Alle haben nachgedacht, was man machen könnte. Es gibt jetzt einen Vorschlag, der das Sparziel in der geisteswissenschaftlichen Sektion erreicht, ohne Göttingen zu schließen. Der wird sicher durchgehen.

Wie sieht dieser Vorschlag aus?

Auf das Kollegialprinzip der Direktoren kann bei den kleinen Instituten der Geisteswissenschaft verzichtet werden. An meinem Institut zum Beispiel sind 16 Wissenschaftler. Da müßten erst mal Abteilungen erfunden werden, um zwei Direktoren zu rechtfertigen. Außerdem kann man Neuberufungen und Planungen hinterfragen. Es ist etwa ein Institut für das Recht der Gemeinschaftsgüter geplant, dafür sind 50 Stellen reserviert! Das könnte man lassen.