Hörbare Soundtüftler

■ Ein Jahresfestival elektronischer Musik

Kein Blut, kein Schweiß, keine Tränen: Elektronische Musik gibt sich körperlos. Zumindest die von der Hörbar anläßlich ihres Jahres-endfestivals in der B5 präsentierte elektronische Musik. Husten wäre Häresie, das gilt fürs Publikum wie für die Künstler. Der Mittelpunkt wird der Maschine zugewiesen.

Diese Fokussierung kann in verschiedenen Formen beobachtet werden. Bei Thomas Becks Auftritt als tbc zum Beispiel in Form einer angenehmen Bescheidenheit. Beck selber kniete mit dem Rücken zum Publikum im Bühnengraben, während er seine Schanzenbahnhof-Samples so geschickt loopte, daß das wiederholte Schließen einer U-Bahntür sich zuletzt wie das Puffen einer anfahrenden Dampflokomotive anhörte. Beck beraubt das Geräusch über die Verfremdung seines Repräsentationscharakters. Seine Musik „spricht“ nicht mehr.

Bei pluramon aus Köln war die Körperlosigkeit sozusagen zu sehen. Jaki Liebezeit – genau der: langjähriges Mitglied der zu lobenden, preisenden und ehrenden Gruppe Can – Liebezeit also ließ sich von einem Drumcomputer vertreten. Das tat der Durchschlagskraft seines Schlagzeugs keinen Abbruch. Die Feedback- und Loop-Gebäude, die Markus Schmuckler dem Korpus (!) seiner E-Gitarre entlockte, fielen unter diesem Ansturm immer wieder auseinander. So kontrolliert aber war dieses Auseinanderfallen, daß selbst das eigentümlich statische Gerüst des Schlagzeuges noch dynamisiert wurde. Bewegung ist bei pluramon ein Stürzen ohne Aufschlag.

40 sec. von gewicht und kunstkopf boten ihre Ambient-Industrial-Gigs im quasi-authentischen Gestus von hinter ihren Geräten sich versteckenden Soundtüftlern dar. Alles aber wurde übertrumpft von der großartigen Inszenierung der Entkörperlichung, die das notstandskomitee bot. Datendandy Malte Steiner, ein Computer und ein großer Videoschirm dienten als Kontext einer brachialen 4/4tel-Attacke. Mit den Fehlermeldungs-blibs des Computers und CD-Aussetzern feierte Steiner das Funktionieren seiner Produktionsmittel.

Steiner, sonst tanzbareres produzierend, gab sich mit dem Aufbauen von Soundschichten gar nicht erst ab. Rhythmustrack wurde unvermittelt an Rhythmustrack gesetzt, jede Liedform, jede Erzählung und somit jede Erfüllung verweigernd. Dazu korrespondierte das Video, in dem der Körper Steiners als bloßes Sample-Material genutzt und in immer neue Umformungen gezwungen wurde. Das rockt überhaupt nicht, ist aber, was das vielzitierte „Brechen der Hörgewohnheiten“ angeht, doch ziemlich radikal. Anders gesagt: große Klasse.

Matthias Anton