„Der Sachverhalt wurde geglättet“

■ Interview mit Rolf-Eckard Puls, dem Rechtsanwalt von Dialle D.

taz: Zu einer Geldstrafe von 4000 Mark wurde Ihr Mandant Dialle D. verurteilt. Gemessen am Tatvorwurf: Ist das viel?

Rolf-Eckard Puls: Die Strafe selbst liegt nicht völlig aus dem Rahmen, wenn sie auch das überschreitet, was man üblicherweise erwartet.

Völlig aus dem Rahmen aber fällt, daß es überhaupt zu einem Prozeß gekommen ist. Verfahren über Auseinandersetzungen zwischen Kindern und Erwachsenen in der Nachbarschaft werden eigentlich eingestellt. Es ging ja nicht einmal um eine schwere Verletzung, sondern – folgt man der Version des Jungen – um eine Ohrfeige.

Warum stand Dialle D. dann vor Gericht?

Ich finde keine andere Erklärung dafür, als daß das Verfahren einfach nicht eingestellt werden sollte. Da wurden Vorwürfe berücksichtigt, die Dialle D. selbst gegen die Hamburger Polizei und Staatsanwaltschaft erhoben hatte.

Die Beschuldigung gegen Polizisten, sie hätten ihn mißhandelt?

Nicht nur: Ein Großteil seiner Vorwürfe richtete sich auch gegen die Staatsanwaltschaft. Gegen die Staatsanwältin Marion Zippel hat er eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben, weil sie offensichtlich ungewillt war, gegen Polizisten zu ermitteln.

Sollte der Prozeß um eine Lappalie geführt werden, um mit einem unliebsamen Angeklagten abzurechnen?

Einiges deutet darauf hin. Am ersten Verhandlungstag hatte Richter Gero Nix vorgeschlagen, das Verfahren einzustellen. Der Staatsanwalt war dazu sogar bereit. Er äußerte auch Bedenken, ob der Junge tatsächlich die Wahrheit erzählt hatte. Doch dann rief er einen Vorgesetzten an, um sich abzusichern, und der wollte den Prozeß durchziehen. Am zweiten Tag war dann plötzlich ein ganz anderer Staatsanwalt anwesend.

Das Gericht argumentierte selbst mit der Geschichte von Dialle D.

Und zwar zu seinen Ungunsten! Sein eigenes Schicksal als ehemaliges Gewaltopfer hätte ihn zu einem anderen als dem vorgeworfenen Verhalten anhalten müssen. Seine Geschichte wird ihm zur Last gelegt und die hohe Strafe damit begründet.

Wie konnte das Gericht begründen, daß es der Version des Jungen und nicht Dialle D. gefolgt ist?

Indem es den einzigen Zeugen, der am Ort des Geschehens die ganze Zeit anwesend war und Dialle D. entlastete, in der Bewertung schlicht ignorierte. Dieser Freund, ebenfalls ein Afrikaner, wird in der Urteilsbegründung nicht einmal erwähnt. Herr M. hatte deutlich und ohne Widersprüche erzählt, was in der Nacht abgelaufen war.

Aber alles, was die Aussagen des Jungen anzweifelte, wurde nicht berücksichtigt. Der Sachverhalt wurde geglättet.

Um Dialle D. verurteilen zu können?

Der Verurteilungswille war zielgerichtet. Und es ist bezeichnend, daß mit Herrn M. gerade die Aussage eines Schwarzafrikaners ignoriert wurde. Fragen: Elke Spanner