Spektakel mit Chancen auf Ed-Wood-Ehrentitel

■ In Peter Grisebachs „Elektra“-Inszenierung versöhnt nur die musikalische Leistung mit dem Anblick

Ed Wood hieß der Regisseur, der mit seinen legendären Billigprodukten als schlechtester Regisseur aller Zeiten in die Annalen der Filmgeschichte eingegangen ist. Ob Peter Grisebach, Bremerhavens Stadttheaterintendant, ihm – auf der Opernbühne – diesen Ehrentitel streitig machen will, wissen wir nicht. Aber mit seiner Inszenierung von Richard Strauss „Elektra“ hätte er alle Aussichten, ihn zu gewinnen.

Elektra ist die stolze Tochter Agamemnons, die ihrer Mutter Klytämnestra schwer verübelt, daß sie ihren siegreich aus dem Krieg heimgekehrten Mann zugunsten des Buhlen Aegisth im Bad mit einem Beil erschlagen hat. Da ihre jüngere Schwester Chrysothemis sich für Rache wenig interessiert, muß Elektra auf die Rückkehr des im Exil herangewachsenen Bruders Orest warten. Der übernimmt den blutigen Job, woraufhin Elektra vor Freude tot zusammenbricht.

Der schwerblutige Stoff und die bis an die Grenzen der Dissonanz gehende kalte Pracht der Musik mögen dem Publikum von 1909 wohlige Schauer über den Rücken gejagt haben, aber heute? Was kann man auf der Bühne anderes zeigen, wird Grisebach gedacht haben, als eine exaltierte Kolportage, als Trash und Pulp Fiction? Aber leider verfolgt er diesen Ansatz gar nicht weiter, er wird nicht schrill und schräg genug. Man darf befürchten, daß Grisebach seine tödliche Elektra bitter ernst gemeint hat. Und deshalb wirkt das Spektakel von Anfang an peinlich.

Aus dem Königspalast von Mykene macht Grisebach ein düsteres Gefängnis. Das Personal ist grün uniformiert. Mitten auf der Bühne befindet sich ein Loch im Boden, in dem Elektra immer wieder verschwindet, bis nur noch ihr singender Kopf zu sehen ist (Bild und Kostüme: Christopher Hewitt). Laut Libretto von Hugo von Hofmanns-thal sucht sie dort das vergrabene Beil, das sie aber bei Grisebach nie findet. Macht auch nichts, Orest hat ein Messer dabei.

Elektra (Sarah Johannsen) tritt in kunstvoll zerrissenen Kleidern und schweren Stiefeln auf, weiß geschminkt, mit tiefen Furchen im Gesicht, eine häßliche Heldin der Nacht. Sie beschmiert dauernd dilettantisch die Wände mit roter Farbe, mit den Namen von Vater und Bruder, ansonsten läuft sie mit pathetisch gereckten Armen in ihrem Gefängnishof auf und ab. Dieses Bild ändert sich über die Dauer der gesamten Oper nicht (etwa 110 Minuten, keine Pause). Mehr Farbe bringt die Schwester (Graciela von Gyldenfeldt) ins Spiel, die in hellem Gelb erscheint. Mutter Klytämnestra (Kathryn Dineen) humpelt in dunkelblauem Outfit erst wie eine böse, uralte Hexe auf zwei vierbeinigen Krücken heran, um später ihre Gehhilfen fortzuwerfen und höchst behende vondannen zu wackeln. Orest (Peter Daaliysky) schließlich ist ein cooler junger Mann im langen Mantel, weißen Hemd mit offenem Kragen. Bis er endlich begreift, was er zu tun hat, steht er malerisch steif auf der Bühne rum und begutachtet Elektras unansehnliche Grafitti.

Was als theatralisches Spektakel fürs Auge – wegen seiner Unentschiedenheit – eine Zumutung ist, ist als musikalische Leistung jedoch ein Höhepunkt der Saison. Das Orchester agiert von Anfang an geschmeidig, weich und in der Dynamik äußerst souverän, obwohl die Anzahl der von Strauss geforderten 100 Musiker auf die Hälfte reduziert wurde. Generalmusikdirektor Leo Plettner gelingt es überzeugend, die Feinheiten dieser schwer zugänglichen Musik jederzeit plastisch herauszuarbeiten. Die demonstrativen Bravorufe am Schluß galten dem Städtischen Orchester und vor allem einer stimmlich überragenden Sarah Johannsen, die ihre Elektra mit einer derartigen Strahlkraft ausstattet, daß die ärgerliche Inszenierung darüber fast vergessen werden konnte.

Hans Happel

Weitere Aufführungen am 2., 10. und 22.1. im Stadttheater Bhv