Nicht nur mit der Karotte wedeln

■ Der Jugendumweltkongreß tagt bis Donnerstag in Berlin

Berlin (taz) – Im „Kuschelzimmer“ riecht es nach Lavendelöl und durchgeschwitzten Socken. Im Schein von fünf Teelichtern gibt die 21jährige Tinka aus Kassel Tips für eine sanfte Nackenmassage. „Natürlich ist das politisch relevant“, sagt sie. „Unsere Gesellschaft hat doch total verlernt, zärtlich miteinander umzugehen.“

Tinkas Massagekurs ist einer von rund 120 Arbeitskreisen auf dem Jugendumweltkongreß (JUKß), der unter dem Motto „Auf dezentralen Wegen der Energiewende entgegen“ bis zum 2. Januar in einem Schulzentrum in Berlin-Spandau stattfindet. Die Naturschutzjugend und die Jugend im Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) veranstalten ihn gemeinsam mit freien Projektwerkstätten. Tausend Jugendliche aus ganz Deutschland sind angereist. Sie diskutieren über den Entwurf einer zentralen Resolution, die das Monopol der Großkonzerne auf dem Energiemarkt anprangert. Sie genießen aber vor allem wie bei einem Kaufhausbummel die Vielfalt der Arbeitskreise.

Bei Roswitha Schimanke aus Berlin etwa kann man eine kleine Windkraftanlage zusammenzimmern. Andreas Traupe und Oliver Rettig aus Karlsruhe geben Tips für die Organisation von selbstverwalteten Projekten. Dino Gebhard aus Hamburg erzählt, wie sich Anfang des 20. Jahrhunderts das Image von Hanf drastisch verschlechterte: Aus dem Rohstoff für Seile wurde die „Teufelsdroge“.

„Der JUKß soll vor allem eine Kontaktbörse sein“, erklärt Mitorganisator Mark Wege aus Berlin. Die Umweltszene sei in den letzten Jahren immer unübersichtlicher geworden. Heute arbeiten unzählige Grüppchen nebeneinander her.

Der JUKß findet nun zwar schon zum vierten Male statt, dennoch ist die Vorbereitung laut Mark Wege „problematisch“ gewesen. „Eigentlich sollte das Treffen in Potsdam stattfinden. Doch da ist das Projekt im Verwaltungssumpf steckengeblieben.“ Außerdem habe das Umweltbundesamt Berlin, der Hauptsponsor des JUKß, zwei Artikel im Programmheft zensiert: Aufrufe zum Siemens-Boykott und Infos über den Castor-Transport fielen raus.

„Ich bin froh, daß es den JUKß gibt“, sagt Vulcko (28) aus Pfullingen. Wie viele andere TeilnehmerInnen begründet er das vor allem mit dem Gemeinschaftsgefühl: „Einmal im Jahr muß ich nicht gegen den Strom schwimmen und bin hier unter Leuten, die genauso denken wie ich.“ Mitorganisatorin Julia Seim sieht es als wichtiges Ziel des JUKß, „Spaß am anderen Lebensstil“ zu vermitteln: „Nur so können wir wirklich politisch was verändern. Es hat keinen Sinn, verbissen mit Karotten in der Hand herumzuwedeln.“ Christoph Schäfer