Die Tage von Milošević sind gezählt

■ Auch wenn Serbiens Präsident mit Gewalt gegen seine Gegner vorgeht, kann er sich noch höchstens ein Jahr halten

Belgrad (taz) – „Milošević hat nur eine Wahl“, sagt ein Belgrader Journalist, „zwei Pistolen an beide Schläfen halten und abdrücken, damit er ganz sichergehen kann.“ Die Optionen des serbischen Präsidenten nach dem Verdikt der OSZE sind in der Tat nicht rosig. Doch daß er dem Rat des Journalisten folgt, erscheint ebenso unwahrscheinlich.

Serbiens Präsident Slobodan Milošević wird um die Macht kämpfen. Noch immer stehen ihm Miliz, Partei, Polizei und Armee zur Verfügung. Der internationale Druck wird sich nach dem OSZE- Votum noch verstärken. Aber noch hat im kommunistischen Parteiapparat niemand den Mut gefunden, gegen Milošević aufzustehen. Die Macht ist brüchig geworden, aber sie zerbröckelt noch nicht. Die täglichen Demonstrationen des Oppositionsbündnisses Zajedno sind auf Kundgebungen beschränkt. Die Opposition verfügt über keinerlei militärische Mittel, um die Macht an sich zu reißen. Eine Lösung nach rumänischem Vorbild wird in Belgrad weitestgehend ausgeschlossen.

Und doch sind die Tage des serbischen Präsidenten gezählt. Selbst wenn er mit Gewalt gegen die Opposition vorgehen würde, ihre Führer verhaften und die politischen Parteien verbieten ließe, könnte er sich noch höchstens ein Jahr halten. Die Miliz steht noch treu zum Präsidenten, weil sie gut ausgerüstet und gut bezahlt ist. Die Armee ist dagegen der große Verlierer, weil die Ressourcen für die Armee nach der Kriegsniederlage in Kroatien und Bosnien gekappt worden sind. Freie Wohnungen in Belgrad für die Offiziere und andere Vergünstigungen werden nicht mehr vergeben. Dennoch steht die Armee nicht für einen demokratischen Wandel.

Sanktionen machen wenig Sinn, weil der Agrarstaat diese aussitzen und auf einer, wenn auch niedrigen Ebene die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgen kann. Fast alle Arbeiter haben Angehörige auf dem Land und können so selbst ihr Auskommen sichern. Die offiziellen Gewerkschaften werden sich dem Protest nicht anschließen, weil sie absolut regierungstreu sind. Und die entstandenen unabhängigen Gewerkschaften sind zu schwach und zu zerplittert, um einen entscheidenden Einfluß auf die Bewegung auszuüben. Dennoch hat das Land auf Dauer keine Alternative. Es muß sich in den europäischen Wirtschaftskreislauf einbinden. Andernfalls wird es auf die Stufe eines Dritte-Welt-Staates absinken. Dringend erforderlich sind vor allem größere Kapitalinvestitionen, um die brachliegende Wirtschaft anzukurbeln. Doch diese Investitionen wird es nur geben, wenn das Land politische Stabilität garantieren kann. Mit der europäischen Orientierung hat die Opposition alle Trümpfe für sich. Und deshalb werden über kurz oder lang nicht nur die Belgrader und die Bevölkerung der großen Städte, also die städtische Intelligenz, zur Opposition wechseln, sondern auch andere Teile der Bevölkerung. Auf Dauer kann Milošević ihnen nämlich kein erträgliches Auskommen sichern. Selbst frische Dinare können nicht mehr gedruckt werden: Montenegros Präsident hat heftigen Einspruch dagegen erhoben und mit der Ausgabe einer eigenen neuen Währung gedroht.

Der Handlungsspielraum des Präsidenten ist also begrenzt. Bestenfalls wird er die Ergebnisse der Kommunalwahlen nach dem Verdikt der OSZE anerkennen und damit den Weg freimachen zu einer politischen Lösung. Dies würde wahrscheinlich einen längeren, aber reibungsloseren Prozeß des Machtübergangs nach sich ziehen. In einer Art unliebsamer Kohabitation übernähme die Opposition die großen Städte Serbiens, einschließlich Belgrad. Milošević würde dann die Bundesmittel für diese Städte einfrieren – ihre Einwohner wären dann auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen.

Doch wahrscheinlich ist ein solches Szenario der Machtübernahme nicht. Wahrscheinlich ist, daß Milošević an der Macht hängt und diese bis zum letzten Augenblick verteidigen wird. Georg Baltissen