Weihnachtsnachschlag: Die Freuden der Geburtshilfe Von Mathias Bröckers

In meinem frühen Leben als Taxifahrer hatte ich einmal eine sogenannte „Storchenfahrt“: eine Schwangere, bei der die Wehen eingesetzt hatten, mußte zur Klinik gebracht werden. Nachdem die Funkzentrale mit dem Stichwort „Storchenfahrt“ zu besonderer Eile animiert hatte, kloppten die Kollegen auf dem Funk ihre Sprüche: „Na denn mach ma hinne, sonst haste jleich 'n kleenen Ackamann im Auto.“ („Ackermann“ ist der Branchenname des Berliner Taxirufs 6902.) Die Sache verlief dann völlig undramatisch, mit den Wehen war es noch nicht so weit her, und ich lieferte die werdende Mutter wohlbehalten vor der Entbindungsstation ab. Am Halteplatz erzählte mir ein älterer Kollege dann, daß er in seinem Taxi schon zweimal „Vater“ geworden wäre, einmal halb und einmal ganz: „Det war vielleicht ne Sauerei.“ Doch die Bemerkung kam – anders als üblicherweise, wenn das heilige Blech von Fahrgästen versaut wird – voller Begeisterung und Stolz. Auch ich hatte mich nach der Erledigung der Storchenfahrt merkwürdig gut gefühlt, wie es sonst nur bei fetten Trinkgeldern vorkam. Etwas Ähnliches in Sachen Geburt beobachtete der Schriftsteller Robert Anton Wilson, als er als Beifahrer eines Krankenwagens am Harlem Hospital in New York jobbte: „Entbindungen scheinen bei allen Beteiligten ein gutes Gefühl zu verursachen – beim Krankenwagenpersonal, bei der Mutter, sogar bei Polizisten. Es scheint irgend etwas Tiefes in unseren Psychen zu geben, das uns stolz auf uns selbst sein läßt, wenn wir bei einer Geburt helfen, sogar wenn es nur kleine Handreichungen sind. Den Polizisten gefiel es immer ganz besonders, ich denke, weil sie ansonsten immer streng, gemein und argwöhnisch sein müssen; es schien eine richtige Wohltat für sie, einmal in einer Situation zu sein, in der niemand Angst vor ihnen hat, sie haßt oder auf sie schießt, wenn sie die Deckung aufgeben – ein Moment, in dem sie offen jene Freundlichkeit und Zärtlichkeit zeigen können, die alle Menschen irgendwo unter ihrem Panzer verborgen haben.“ Wenn diese Alltagsbeobachtungen in Sachen Geburtshilfe richtig sind, woran ich spätestens nach der Geburt unserer Zwillinge keinerlei Zweifel mehr habe – dann ist die Dramaturgie der christlichen Weihnachtsgeschichte nicht ganz echt. Derart hartherzige Polizisten (Besatzungssoldaten) und Dienstleister (Kutscher, Wirte), daß sie einer Hochschwangeren ein Plätzchen zur Niederkunft verweigern, sind im Berlin oder New York unserer Tage sowenig vorstellbar wie vor 1.996 Jahren in Palästina. Für ihren dramaturgischen Kunstgriff gebührt den unter „Lukas“ firmierenden Ghostwritern der Geschichte allerdings ein gewisses Verständnis: eine Kaschemme mit zechenden Kutschern wäre als Location für die Heilige Nacht ebenso ungeeignet gewesen wie das erste Haus am Platz in Bethlehem, ganz zu schweigen von einer römischen Kaserne, mit wickelnden und hätschelnden Legionären. Deshalb sind Stall und Krippe nicht nur als symbolisches Pendant der königlichen Geburt gut ausgesucht, sie passen auch perfekt unter den Weihnachtsbaum. Ansonsten würde es dort nach „Wirtshaus im Spessart“ aussehen, beziehungsweise – die spinnen, die Evangelisten! – wie bei Asterix und Obelix. Da bleiben wir dann doch lieber bei Ochs und Esel.