"Wir wollen unsere ,Ossis' wieder"

■ Für den Mahlsdorfer Bäckermeister Müller kam die Wende noch einmal Anfang Dezember. Die Kundschaft hatte gegen "aufgeblasene Westschrippen" protestiert

taz: Prost Neujahr, Bäckermeister Müller. Es kann ja nur besser werden in diesem Jahr.

Christian Müller: Die Leute haben einfach unsere neuen Schrippen nicht mehr gekauft. Die haben sich denen regelrecht verweigert. Im Durchschnitt haben wir zum Schluß 3.000 am Tag weniger verkauft. Da blieb mir gar nichts anderes übrig, als wieder alte „Ossis“ zu backen.

Sie hatten ja erst im Juli Ihre neue Bäckerei eingeweiht – mit zwei neuen Heißluftöfen, in denen Sie Schrippen nach Westart gebacken haben.

Klar, wir haben eine Menge investieren müssen. Ich habe ein völlig neues Gebäude, 30 Meter gegenüber unserer alten Backstube, gebaut. Ich habe zwei neue Öfen einsetzen lassen, einer hat so um die 100.000 Mark gekostet. Gut, davon hat der Senat 50 Prozent getragen, wegen der schadstoffarmen Energietechnik. Deswegen war der finanzielle Schaden für mich nicht ganz so groß.

Durch die neuen Heißluftöfen waren die Schrippen aufgeblasen à la Westen.

Man kann das mit einem Braten in der Mikrowelle vergleichen. Den bekommt man auch in zehn Minuten hin, und er ist vielleicht auch eßbar. Aber er hat eben kein Aroma mehr. So ist das auch mit den Schrippen. In einem Steinbackofen backen sie viel langsamer. Da haben sie eine stehende Hitze um sich, sie können sich ruhig entwickeln. Das Aroma ist ein ganz bestimmtes. Es bildet sich eine viel festere Krume, und der Inhalt ist feuchter. Sie krümeln auch nicht, wenn man sie aufschneidet. Die halten sich einfach auch länger. Die kann man am nächsten Tag aufbacken oder auch noch so essen. In den neuen Heißluftöfen wird das Gebäck ja künstlich hochgezogen. Man kann sich das so vorstellen: Man nimmt einen Föhn, hält ihn an den Teig und bläst ihn auf.

Die Mahlsdorfer wollten aber keine aufgeblasenen „Wessis“.

Die haben gesagt: „Paß auf, wenn wir die alten Schrippen bei dir nicht mehr bekommen, können wir auch überall hingehen.“ Das war ein langsamer Prozeß: Erst haben wir 500, dann 700, dann 1.000 am Tag weniger verkauft. Und zum Schluß blieben immer mehr am Abend liegen. Die Leute kamen in den Laden und meinten, die Schrippen schmecken ihnen nicht. Die haben ganz klar gesagt: „Wir wollen unsere ,Ossis‘ wieder.“ Wir haben ja auch das Krankenhaus in Kaulsdorf beliefert. Von dort bekamen wir irgendwann zu hören: Die Patienten wollen die aufgeplusterten Schrippen nicht. Darauf mußte ich irgendwie reagieren. Denn es ist ja so: Wenn die Leute bei ihrem Bäcker nicht mehr die Schrippen bekommen, die ihnen schmecken, dann kaufen sie da auch kein Brot und keinen Kuchen mehr. Das Zurückgreifen auf den alten Steinbackofen war also letztlich auch eine reine Existenzfrage.

Die Müllersche Backtradition in Mahlsdorf reicht ja 35 Jahre zurück.

Mein Opa hat mit dem Backen angefangen. Und wir sind eben auf die einheimischen Kunden angewiesen. Mahlsdorf liegt nun mal am Rande von Berlin und nicht gerade am Nabel der Welt, wo eine Menge Laufkundschaft hinkommt.

Warum haben Sie denn überhaupt im Juli die „Ossis“ aus der Backstube verbannt?

Wir dürfen ja nicht vergessen, daß die Leute nach der Wende die großen Schrippen wollten. Die haben danach regelrecht geschrieen. Es kamen Leute mit Schrippen aus Westberlin zu mir und haben gesagt: „Herr Müller, sehen Sie sich diese an. Wenn Ihre Schrippen nicht auch bald so aussehen, dann können Sie zumachen.“ Da kann man schon Angst kriegen.

Nach der ersten Wende kam für Sie nun eine zweite.

Das kann man so sagen. Es ist schon alles ein völliger Wahnsinn. Ich habe eine moderne Bäckerei gebaut, mit allen hygienischen und arbeitstechnischen Vorteilen, und mußte nun die alte Backstube renovieren und den alten Schamottbackofen wieder in Gang setzen lassen. Ich kann ja von Glück reden, ihn damals nicht abgerissen zu haben. Jetzt allerdings überlege ich, den alten Steinbackofen doch abzureißen, um ihn aber in der neuen Backstube orginalgetreu wieder aufzubauen.

Stehen die beiden neuen Öfen nun kalt?

Nein. Da werden noch Brote und die Kuchen gebacken.

Wie ist die Resonanz auf die neue alte Ost-Schrippe?

Wir verkaufen wieder mehr, und auch alte Kunden kommen wieder. Es muß sich erst rumsprechen, daß wir wieder „Ossis“ backen. Ganz eingepegelt hat sich der Absatz aber noch nicht. Früher haben wir zwischen 8.000 und 10.000 Stück am Tag verkauft. Jetzt sind es um die 5.000 Schrippen.

Apropos: Wo kommt eigentlich der Name „Ossis“ her?

Die Mahlsdorfer selbst haben sie so getauft. Wir hatten damals ein ganz schönes Theater wegen des Namens. Manch einer hat gesagt: „Wie können Sie die Schrippen ,Ossis‘ nennen?“ Das sei zu politisierend. Aber was soll's? Wir verkaufen ja auch Amerikaner und Kameruner. Interview: Jens Rübsam