Umschüler sitzen in der letzten Reihe

■ In der Aus- und Fortbildungsbranche gibt es erhebliche Mängel: Lehrpläne sind veraltet, Ex-Gymnasiasten lernen neben Hauptschülern. Industrie fordert TÜV für Umschulungsprogramme

Schüler aller Lernniveaus wahllos zusammengewürfelt wie in einer Dorfschule – und die Lehrpläne hoffnungslos veraltet: Teilnehmer an Umschulungsmaßnahmen, die das Arbeitsamt finanziert, erheben schwere Vorwürfe gegen ihre Ausbildungsträger. So werde an der Kant-Akademie in Charlottenburg noch immer Steno gepaukt wie in den 50er Jahren, während Lehrstunden vor dem Computer Mangelware seien. „Jede Woche habe ich vier Stunden Steno, aber nur zwei Stunden Computerkurs“, sagt eine Schülerin der Kant-Akademie, die eine Ausbildung zur kaufmännischen Assistentin absolviert. Sie befürchtet, mit ihrem Steno-lastigen Stundenplan völlig am Arbeitsmarkt vorbei ausgebildet zu werden.

Anfragen bei Industriebetrieben scheinen ihren Verdacht zu bestätigen: „Bei uns hat sich das Diktat auf Band gegenüber dem Stenoprotokoll durchgesetzt“, erklärt eine Sprecherin der Schering- Werke. Und Enzo Kühlmann- Stumm von der Siemens AG betont: „Steno spielt im Büro praktisch keine Rolle mehr.“ Andreas Wegener, Leiter der Kant-Akademie, verweist auf die Schulverwaltung, welche den Lerninhalt Steno vorgebe. Daran müsse er sich orientieren. Der Schulverwaltung scheint inzwischen aufgegangen zu sein, daß sie ihre Lehrpläne bei Umschulungen entrümpeln muß. Ulrich Richter von der Schulverwaltung verspricht: „Bald wird Steno von den Stundentafeln so gut wie verschwinden.“

Die pädagogisch unsinnige Zusammensetzung der Umschulungskurse kritisiert eine Schülerin beim Forum Berufsbildung e.V.: Schüler ohne Hauptschulabschluß säßen in der gleichen Klasse wie Hochschulabsolventen. Und was die einen überfordere, erzeuge bei anderen nichts als Langeweile. Eingangstests und Stützunterricht, die das Forum von sich aus eingeführt hat, könnten dieses Problem nicht wirklich lösen.

„In der Aus-und Fortbildungsbranche gibt es viele Mängel“, räumt ein Mitarbeiter des Landesarbeitsamtes ein. Doch sei es schwer, einzelne Mißstände nachzuweisen. „Wir überprüfen zwar die staatlich geförderten Umschulungen, aber wir können natürlich nicht überall ständig präsent sein.“ 96 Bildungsmaßnahmen hat das Arbeitsamt im letzten Jahr überprüft. Davon war ein Drittel „mängelfrei“, bei sieben gab es dagegen „schwerste Beanstandungen“. Mängel sind etwa häufige Stundenausfälle – aber auch falsche Angaben: „Vor drei Jahren hat ein Bildungsträger eine Schulung zum Datenverarbeitungskaufmann angeboten – und wir stellten fest, daß er gar nicht die Computer besaß, auf denen er angeblich ausbilden wollte“, erinnert sich der Arbeitsamt-Mitarbeiter.

Laut Petra Struve-Mardones von der Industrie- und Handelskammer ist jedoch das Niveau vieler Umschulungsanbieter vor einigen Jahren weit niedriger gewesen. In der Nachwendezeit seien zu viele Ausbildungsträger auf dem Markt gewesen, die sich mehr um den Umsatz als um die Qualität der Ausbildung gekümmert hätten. Heute sei das Geschäft mit den Umschulungen dagegen nicht mehr so lukrativ – und viele der unseriösen Anbieter hätten sich vom Markt zurückgezogen.

Dennoch fordert Dieter Pienkny vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): „Wir brauchen einen TÜV für Umschulungen.“ Und Petra Meyer, beim DGB für Arbeitsmarktpolitik zuständig, ergänzt: „Die Überprüfungen der Bundesanstalt für Arbeit sind zu buchhalterisch.“ Sie würden nicht genug über den tatsächlichen Wert der Umschulungen für den Arbeitsmarkt aussagen. Das sei aber dringend notwendig angesichts einer Situation, in der auf eine offene Stelle 26 registrierte Arbeitslose kämen. Meyer wünscht sich eine „Qualifizierungsoffensive“, die sich strikt am Bedarf des Arbeitsmarktes orientiert. „Die Bundesanstalt könnte ihre Forschungsmöglichkeiten viel effektiver einsetzen und genau ermitteln, welche Art von Qualifikation bei Industrie und Handel in Berlin wirklich gefragt ist. Und darauf sollte sie dann die Umschulungsprogramme abstimmen.“ Bei aller Kritik an der Effektivität der Umschulungen betont Petra Meyer: „Ein großer Teil der Teilnehmer ist froh, überhaupt einen Umschulungsplatz zu bekommen.“ Und das werde in Zukunft immer schwieriger: „Nächstes Jahr werden die Mittel für Fortbildung und Umschulung drastisch gekürzt.“ 1995 förderte das Arbeitsamt mit einem Etat von 1,8 Milliarden Mark rund 60.000 Aus- und Fortbildungen. Gewerkschafter gehen davon aus, daß ein Drittel dieser Plätze wegfallen werde. Christoph Schäfer