Vernunft beugt vor, Verstand hat das Nachsehen?

■ betr.: „Verkehr neu erfinden“, taz vom 21./22.12. 96

Selten habe ich (selbst in der taz) so einen hanebüchenen Schwachsinn gelesen. „Die Konzepte seien längst bekannt, nur der Bewußtseinswandel der Menschen sei halt noch nicht soweit“ ... Hier baut der Autor einen Popanz auf und arbeitet sich an diesem ab. Das Bewußtsein fehlt, und zwar bei Betroffenen wie PolitikerInnen.

Auch auf die Gefahr hin, als Dogmatiker zu gelten, kann ich Leute, die eine Tonne Blech umherkutschieren, nur um ihren A. nach B. zu bringen, nicht ernsthaft als vernunftbegabte Wesen bezeichnen.

„Wir (!) wissen noch herzlich wenig ...“? Das mag ja sein. Aber die ebenso trendige wie bescheuerte Forderung nach Tabulosigkeit heißt doch letztlich nur, daß dem Autor nix Gescheites einfällt und er es statt dessen vorzieht, das Gesülze der „Freunde aus der Industrie“ nachzubeten. [...]

Motto: Frei ist und bleibt, wer die gesetzten Grenzen (des Denkens) nicht antastet und infolgedessen auch nie mit ihnen in Berührung kommt. Auf die solcherart „tabufrei“ zustandekommenden „verkehrspolitischen Wahrheiten“ im Geiste von Herrn Piech kann ich getrost verzichten. Jochen Stein, Frankfurt/M.

Viel zu einfach macht es sich Andreas Knie, wenn er den hohen Motorisierungsgrad der BundesbürgerInnen auf mangelnde Attraktivität der öffentlichen Verkehrsmittel zurückführt. Zumindest für Großstädte stimmt diese einfache Argumentation nicht. Zum Beispiel ermittelte die Bundesanstalt für Straßenwesen für Kaiserslautern, daß dort schon unter den heute gegebenen Bedingungen ein Drittel der Autofahrten nicht notwendig ist.

Weiterhin kommt diese Untersuchung – wie schon manch andere vorher – zu dem Schluß, daß ein entscheidender Umsteigeeffekt auf umweltfreundlichere und sozial verträglichere Verkehrsmittel erst erfolgen wird, wenn restriktive Maßnahmen das Autofahren erschweren. Man spricht davon von Push & Pull, d. h. restriktiven Maßnahmen für das Auto und gleichzeitig Attraktivitätssteigerung für Fahrrad und ÖPNV. Wer Bus und Bahn mit Millionen unterstützt, aber nicht den Autoverkehr aktiv in seine Schranken verweist, zahlt sich vergeblich dumm und dämlich.

Die durchschnittliche Wegelänge ist übrigens auf einem Drittel aller Wege kürzer als zwei Kilometer, ein weiteres Drittel ist zwischen zwei und sechs Kilometern lang und nur ein Drittel länger als sechs Kilometer. Also ideale Voraussetzungen für die Fahrradnutzung, für den ÖPNV beziehungsweise die Kombination aus beiden.

In der BRD betrug der Radverkehrsanteil 1992 gerade 10 Prozent, in Dänemark 18 Prozent und in den Niederlanden sogar 29 Prozent. Auch ein paar deutsche Städte machen vor, daß ein Radverkehrsanteil über 20 Prozent keine Utopie bleiben muß. Allerdings sind andere Maßnahmen notwendig als der Bau von Pseudoradwegen. Es gehört auch der Mut dazu, den AutofahrerInnen zu vermitteln, daß so manche ihrer Fahrten sozial unerwünscht ist und daher etwas dagegen unternommen werden muß, daß sie jedes Ziel zu jeder Zeit schnell und bequem mit dem Auto erreichen können. Das sind wir schon denen schuldig, die gerade nicht im Auto unterwegs sind. Ulf Dietze