Wohl nicht für immer fest im Sattel

■ Die „Hamburger Radtouristen von 1894“ sind mit acht Mitgliedern der zweitkleinste Sportverein der Hansestadt – vielleicht nicht mehr lang: Den Radballern gehen langsam die aktiven Spieler aus

Der Name führt erst einmal auf die falsche Spur. Mit Urlaubsfahrten oder Wochenendausflügen haben die „Hamburger Radtouristen von 1894 e.V.“ nichts zu tun. Im mit derzeit fünf aktiven und drei passiven Mitgliedern zweitkleinsten Sportverein Hamburgs wird Radball gespielt.

Warum der Club gerade „Radtouristen“ heißt, weiß nicht einmal der erste Vorsitzende. „Das war früher wohl eine Wandergruppe“, mutmaßt Peter Fischer, der auch als Pressesprecher und Kassenwart fungiert.

„In den Fünfzigern hatten wir bis zu 200 Mitglieder“, berichtet der oberste Radtourist. Damals wurde auch noch Straßenradsport betrieben, aber mit der Massenmotorisierung nahm die Zahl der Aktiven rapide ab. Übrig blieben fünf wackere Radballkämpfer im Alter von 54 bis 60 Jahren.

Bis Ende der Achtziger trotzten die, so Fischer, „attraktiven Männer mit Bauch“ in der Landesliga entschlossen den Jungspunden von Hansa Vierlande oder Solidarität Bergedorf. Mittlerweile spielen die Mitglieder nur noch just for fun. Als Seniorensportverein versteht man sich aber keineswegs. „Wir brauchen noch keine Stützräder“, erklärt Fischer.

So ganz unglücklich sind die Radtouristen über den fehlenden Nachwuchs allerdings nicht, schließlich gilt: Je weniger Spieler zum Training erscheinen, desto mehr Hallenzeit bleibt jedem einzelnen der Anwesenden. Im Radball mühen sich stets zwei Teams mit je zwei Spielern, den Ball ins gegnerische Tor zu befördern – ein platzaufwendiger Sport. Und ein manchmal sogar schmerzhafter: Der kurioserweise mit Rehhaaren gefüllte Ball ist knüppelhart.

Trainiert wird in der Turnhalle Schwenckestraße. Diese unscheinbare, in einem Eimsbütteler Hinterhof versteckte Sportstätte hat den Vorteil, daß in ihr – einmalig in Hamburg – die Umgrenzung eines Radballfelds eingezeichnet ist. „Als die Halle renoviert wurde, haben wir den Hausmeister überredet, uns die Linien auf den Boden zu malen“, berichtet Jens Bösenberg, ein weiteres Mitglied im radballenden Quintett. Woanders müssen die Sportler die Markierungen selbst auf den Boden kleben.

Mit dabei beim donnerstäglichen Training sind meist einige jüngere Radballer vom „Altonaer Bicycle Club“ (ABC), dem ältesten Radsportverein der Welt. Der ABC ist noch zwei Jahre früher gegründet worden als die „Hamburger Radtouristen“. Nicht, daß diese historische Ehre den Altonaern viel nützen würde. Auch dort sinkt die Mitgliederzahl verdächtig dem einstelligen Bereich entgegen.

Dieser Trend gilt bundesweit und ist anscheinend unaufhaltsam: Der traditionsreiche Radball, der in der DDR fast Volkssport war, zählt mittlerweile zum äußersten Rand im Reich der Randsportarten. „Wir hatten letztes Jahr die Deutschen Meisterschaften in Hamburg – mit fünf Weltmeistern. Kein Mensch hat darüber berichtet!“, ärgert sich Fischer.

Zwar finden sich immer wieder Interessenten ein, denjenigen fehlt es jedoch meist an der Ausdauer: Bis zu einem Jahr intensiven Trainings ist vonnöten, um den ersten halbwegs kraftvollen und einigermaßen plazierten Schuß mit dem Vorderrad hinzubekommen – und dabei nicht vom Rad zu kippen.

Darüber hinaus ist Radball kein billiges Hobby. Ein Rad kostet rund 2 000 Mark. Und geht etwas kaputt, was leicht passieren kann, haben auch die Ersatzteile ihren Preis: 70 Mark für einen neuen Reifen, bis zu dreimal soviel bei einer gebrochenen Vorderachse. „Wie gut, daß keine Klingel dran ist“, bemerkt Fischer trocken.

Andererseits verwundern die hohen Kosten nicht. Die Räder sind allesamt Spezialanfertigungen, die fast nichts mehr mit einem herkömmlichen Velo gemein haben: verlängerter Lenker, fehlende Freilaufnabe am Hinterrad, so daß sich die Pedale immer mitdrehen, keine Bremsen. Und rückwärts fahren können die – erfahrenen – Radballer im Gegensatz zum Standard-Radler auch.

Der härteste Gegner der „Hamburger Radtouristen“ ist allerdings nicht die Rezession, sondern Freund Hein. „Die älteren Mitglieder sterben alle“, stellt Bösenberg bedauernd fest. Das Verfahren bei Vereinsauflösung ist bereits in der Satzung verankert. Wie seine Sportskameraden auch blickt Fischer trotzig-entschlossen in die Zukunft: „Wir halten zusammen durch und machen auch gemeinsam Schluß!“ Olaf Zühlke