Wer hat die dickste Russenmütze?

■ Der Permafrost in Bremen setzt nicht nur rasierten Pudeln zu oder: Happiness is a warm hand / Eine Kältereportage

Der Tabakladen in der Birkenstraße ist unbeheizt. Die Tabakhändlerin ist lustig. Sie händigt mir das Jahr 1997 des Hundertjährigen Kalenders aus. Bis Mitte März bleibt es kalt. Sie verkauft mir für 3 Mark 50 Feuerzeugbenzin. Das Feuerzeugbenzin ist für den Herbertz Handwärmer Nr. 622000. Den habe ich kurz zuvor bei Quovadis für 8 Mark eingekauft. Und sogleich schwelt ein kleiner, gänzlich ungefährlicher Brand in meiner Manteltasche, es müffelt nur ein bißchen.

Eine Hand wird langsam warm. Wer den Permafrost in Bremen nicht kennt, weiß nicht, was eine warme Hand ist. Happiness is a warm hand, trällere ich, da treffe ich Herrn O., der sich eine Männerleggins kaufen will. Männerleggins liegen bei Karstadt etwas versteckt, aber immerhin in grau, blau und schwarz in einer Schublade. Herr O. ist froh. Und mit ihm 17 Schwarzafrikaner, die am Grabbeltisch für wenig Geld einen Synthetikschal erstehen.

Ich schwöre, ich habe noch nie so viele frohe Leute in so kurzer Zeit gesehen. Schon gar nicht Heiligabend bei Dodenhof. Heute trifft man auf dem Marktplatz einen lachenden Jungboten der Post, der gar nicht friert: „Nur die normale Dienstkleidung.“ Der Bierkutscher lacht, wenn man sich sorgt, daß sein Bier einfriert. „Platzende Bierflaschen? Den Schwienkrom muß ich nicht haben,“ entgegnet er und plant seine Touren entsprechend kurz. Der gut durchblutete Käse-und-Eier-Holländer auf dem Domshof (heute ganze fünf Stände hier, f-ü-n-f!) hat einen Scheinwerfer auf seine Eier gerichtet, so daß diese nicht einfrieren. Dem Käse sei es egal, nur beim jungen Gouda zeigten sich Trocknungsrisse. Im Tank seines VW-Bulli hat er Bio-diesel aus Raps, der wird puddingartig bei dieser Kälte. Tässchen Benzin rein – fertig! Kein Thema.

(Mit meiner warmen Hand notiere ich Zitate. Der Kuli schreibt 1a, denn er liegt neben dem Taschenöfchen. Glauben Sie Journalisten, die kein Taschenöfchen besitzen, kein Wort, denn sie können sich nichts notieren, weil kalte Kulis nicht schreiben!)

Bei den Stadtmusikanten will ein junger Kerl sein Schätzchen knipsen, aber der Batterieblitz geht nicht. Als er endlich geht, ist Schätzchen sichtlich tiefgekühlt. Schätzchen wird das Foto wegwerfen. Lustig ist zu beobachten, wie Handys, die nicht auf der bloßen Haut getragen werden, ihren letzten Pieps aushauchen. Vergeblich versuchen Autobesitzer am Richtweg, den Parkautomaten zu füttern. Ist das eine Freude! Gewiß versagen heute auch Politessen-Computer und Radarblitze. Die schnieken Münzklos sind einheitlich außer Betrieb. Kotze am Ratskeller versickert nicht, sondern bildet bunt-pittoreske Kleinplastiken. Lustig hüpfen die Leute durch die Sonne, haben Dampf vor dem Mund und spielen: Wer hat die dickste Russenmütze? Glatzeninhaber tragen Stirnbänder, ahnen nicht, wie bescheuert sie aussehen, und sind glücklich.

Fallen wirklich die Vögel tot vom Himmel? Wir haben es in der Hand! Unglaublich, aber wahr: Der hartherzige Tierschutzverein gestattet ausnahmsweise das Füttern darbender Singvögel! Sogar Enten, ja Tauben darf geholfen werden. Und noch eins: Pudelmäntelchen! Wer seinen Pudel rasiert, muß sogar Pudelmäntelchen stricken. Es sei denn, er ginge nur in den Lloyd-Hof oder in die Kirche. Ich habe es eigenhändig getestet: In Sankt Johann ist das Weihwasser nicht gefroren.

Und nun ein paar Permafrosttips: Heizsonne in den Tankraum stellen, aber nie Benzin zum Heizöl kippen. Heizungsreparierer nach 22 Uhr nur anrufen, wenn es um höhere Güter oder Leben geht. Also Computer oder Kleinkinder. Auf Alkohol verzichten, weil er die Gefäße erweitert, was den Körper warm macht, aber nur kurz. Nicht sterben, weil in Bremen niemand mehr beerdigt wird, jedenfalls nicht in der Urne. Bei Sargbestattung wird dagegen Sprengstoff eingesetzt. Burkhard Straßmann