Winterimpressionen
: Frauen im Eis

■ Von Hochkultur und Liebestötern

Gestern entschloß sich Irmtraud S., am Samstag nicht zum Festival der Tenöre ins CCB zu gehen. Irmtraud S. weiß beim besten Willen nicht, was sie anziehen soll. Dabei hängt eine Reihe frisch gebügelter Seidenblusen wohlgeordnet im Schrank. Aber was drüber? Das Jackett reicht nicht, zu kalt insgesamt. Ein Pullover paßt nicht drunter, höchstens ein dünner. Der wiederum wärmt nur ungenügend. Und die Wolljacke geht schon wegen der Bommel nicht, die nach etwa der zehnten Wäsche unter den Ärmeln auftauchten. Ratlos steht Irmtraud S. vor ihrem Kleiderschrank.

Ein paar Straßen weiter ist Bärbel K. in derselben Pose erstarrt. Soll sie jetzt die wollene Unterhose anziehen? Sie weiß genau, daß dann im Theater die Schwitzerei anfängt und das Kribbeln auf der Beinhaut. Aber soll sie auf dem Weg zum Neujahrskonzert vielleicht erfrieren? Das scheint Frau K. ein zu gewagtes Opfer an die kulturelle Fortbildung. Also hinein in den wollenen Liebes-töter. Doch siehe, jetzt will sich der Reißverschluß der Hose nicht mehr schließen lassen. Zu eng. Schon weil Frau K. einen dicken Bauch hat, wie jedes Jahr nach Weihnachten. Das muß an der Nußallergie liegen, grübelt sie und versinkt mit einem Anflug leichter Depression im Kleiderhaufen.

Frauen neigen in Zeiten der Kälte zum Rückzug. Während die Herren sich im schweren Troyer zeigen dürfen, ist die bessere Hälfte der Bevölkerung bei festlichen Anlässen nach wie vor aufs kleine Schwarze angewiesen. Allein die Schuhe! Zierliche Kunstwerke, weder warm noch rutschfest. Da braucht sie den starken Mann, der selbst bei eisigsten Straßen sicher in seinen Profilboots steht.

Frauen sind einfach nicht für den Winter gebaut. Die Mütze macht die Frisur kaputt, Einlegesohlen verderben die Pömps, warme Wäsche tötet die Figur. Da nützt auch das vielgerühmte Zwiebelsystem nichts mehr. Welche Frau würde schon ihre lange Unterhose bei der Theatergarderobiere abgeben? Und ins Handtäschchen passen all die Zweithäute nun mal nicht. Also bleibt die Frau der Hochkultur eher fern und geht dorthin, wo man auch sie im Troyer willkommen heißt: In Kneipen ist es für sie einfacher. Auf dem Klo kann sie sich stickum der Strumpfhose entledigen, die später unter dem riesigen Kleiderberg auf der Bank gar nicht auffällt.

Einen ständigen Thekenwechsel wie zu Sylvester macht Bärbel K. jedoch nicht mehr mit. Kaum hatte sie sich zum Sitzen präpariert, wollte ihr Gatte schon wieder los. Frau K. kam sehr ins Schwitzen. Und die Toiletten waren mit vorschreitender Zeit nicht unbedingt anziehender geworden.

Überhaupt möchte sich Bärbel K. am allerliebsten gar nicht mehr ausziehen. Dieser kleine Moment des Kleiderwechsels, dünkt ihr, reicht aus, um den Körper vollständig auszukühlen. Winterschlaf wäre das allerbeste, denkt sie. Aber was wird ohne Frauen aus der Kultur? dah