Keine Gäste mehr

■ Die russische Wochenzeitung "Nowaja Berlinskaja Gazeta" will den Emigranten ein Berliner Lebensgefühl vermitteln

Es ist noch gar nicht so lange her, da sorgte Ewgeni Tanklewski im Café Hegel, einem angestammten Treffpunkt russischer Emigranten in Berlin, am Klavier für die musikalische Beschallung. Dann vertauschte der 37jährige Schiffbauingenieur aus Odessa den Klavierhocker mit einem etwas besser gepolsterten Sitzmöbel: dem Sessel des Geschäftsführers der Nowaja Berlinskaja Gazeta. Die „neue Berliner Zeitung“ ist nach Ewpora-Zentr und Russki Berlin, die im Juni letzten Jahres mit ihrer ersten Nummer herauskam, die dritte russische Zeitung auf dem Berliner Zeitungsmarkt.

Und der gibt das eigentlich auch her, zumindest jetzt noch, meint Tanklewski. Schließlich lebten allein in Berlin und Brandenburg rund 100.000 Emigranten, russische Juden und deutschstämmige Russen. Ködern will der 37jährige seine potentiellen Leser mit einer „richtigen Wochenzeitung, die pünktlich wie ein Zug kommt“. Und zwar jeden Donnerstag, wie Die Woche, deren Machart Tanklewski und der Chefredakteur Igor Pobereschski scheinbar gründlich studiert haben.

So bunt, wie sich das russische Blatt im Vierfarbdruck präsentiert, ist auch das Themenangebot. Neben Berichten über die amerikanischen Präsidentenwahlen oder einem Interview mit dem russischen Innenminister Anatoli Kulikow bietet das achtköpfige Redaktionsteam für zwei Mark auf 16 Seiten Beiträge über Steven Spielberg, Gregor Gysis Wohnungsprobleme und die Geschichte der Pille in Deutschland. Zwei Seiten Berliner Panorama mit Wissenswertem über die deutsche Hauptstadt in Kurzform haben genauso ihren festen Platz im Blatt wie Kreuzworträtsel, Modetrends und Psychotests („Sei dein eigner Psychologe“).

„Da muß eben für jeden etwas drinstehen“, sagt Tanklewski. Deshalb stünden an erster Stelle Informationen und keine Positionen, zumal seine Klientel ohnehin noch nicht aktiv am politischen Leben teilnehme.

Besonders wichtig findet der Zeitungsmacher, seinen Lesern ein Berliner Lebensgefühl zu vermitteln, das heißt nützliche und praktische Tips für diejenigen, die in Berlin keine Gäste, aber auch noch nicht zu Hause sind. „Wenn ich eine Zeitung nur für Hochintellektuelle mache, habe ich maximal 200 Leser. Mache ich ein Blatt ausschließlich für weniger Gebildete, habe ich auch nur 200 Leser“, sagt Tanklewski.

Wie viele er jetzt hat, weiß der Geschäftsführer nicht. Verkauft werden jedenfalls Woche für Woche rund 3.000 der 5.000 gedruckten Exemplare (das Konkurrenzblatt Russki Berlin verkauft rund das Doppelte). Was natürlich nicht ausreicht, um mit „dem pünktlichen Zug“ in die Gewinnzone zu fahren. Wenngleich neben kleinen Annoncen von Reisebüros, Brillenstudios, Videotheken und Einrichtungshäusern auch schon mal mit einer ganzen Seite dem Leser die Vorzüge von Holzmöbeln nahegebracht werden.

Für die nächsten Monate sind Verluste der Nowaja Berlinskaja Gazeta, die als GmbH mit 50.000 Mark Startkapital loslegte, jedenfalls noch eingeplant. „Das Finanzierungs- und Marketingkonzept ist noch nicht fertig.“ Über etwaige Beteiligungen gebe es aber bereits Verhandlungen, sagt Tanklewski und läßt keinen Zweifel daran, daß er seit seiner Ankunft in Deutschland vor fünf Jahren auf der Klaviatur des Kapitalismus schon zu spielen gelernt hat.

Doch neben Geld geht es auch darum, die neue Zeitung erst einmal bekannt zu machen. So fanden 5.000 Haushalte Ende August die erste Ausgabe der Nowaja Berlinskaja Gazeta kostenlos im Briefkasten. „Das war wirklich nicht unsere beste Nummer. Die sah noch eher wie ein Studentenblatt aus. Aber mittlerweile hat sich das schon alles eingespielt“, sagt Tanklewski. Außerdem liegt die Zeitung an „einschlägigen Plätzen“ aus. So soll das Blatt beispielsweise Russischsprachigen beim Frisör die Zeit unter der Trockenhaube vertreiben.

Mittelfristig visieren Tanklewski und seine Crew, die demnächst einen zusätzlichen Raum im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in der Friedrichstraße bekommen, 5.000 verkaufte Exemplare an. „Doch das ist bei drei russischen Zeitungen nicht realistisch“, sagt er und verweist auf die beiden anderen Konkurrenzblätter. Er weiß nur zu gut, daß dort jede seiner Ausgaben von A bis Ja (letzter Buchstabe im russischen Alphabet) genau unter die Lupe genommen wird. Gleich nach ihrem Start bekam die Redaktion Post von den lieben Kollegen. „Wir gratulieren Ihnen zu Ihrer neuen Zeitung. Ihr aufmerksamster Leser, Russki Berlin.“ Barbara Oertel