Ist Islamfeindlichkeit gleich Xenophobie?

■ betr.: „Rassismus light“, „Die Mär vom Feindbild Islam“, „Und wie die Mär entsteht“ in der taz vom 24.12. 96

[...] Zwar gibt sich Frau Böhm große Mühe und setzt sich ernsthaft mit Huntingtons Hirnwichserei auseinander, aber sie erkennt nicht, worum es wirklich geht, nämlich nicht um einen Rassismus light – weniger gesundheitsschädlich für potentielle Opfer, da er nicht unbedingt gleich zu Körperverletzung und Mord, sondern nur zu Ausgrenzung und Bevormundung führt –, sondern um Rassismus, und Herrn Huntingtons Thesen sind verbrecherisch, soweit es die MuslimInnen betrifft. Was soll das Scheißargument, MuslimInnen würden mehr Kinder in die Welt setzen, wurden nicht genau unter Zuhilfenahme dieses Arguments im Krieg in Bosnien Tausende muslimischer ZivilistInnen ermordet, vergewaltigt, gefoltert, eingesperrt, beraubt und vertrieben? Und sollte weder Frau Böhm noch Herrn Huntington bekannt sein, daß sowohl im Nationalsozialismus in Hinsicht auf die Sinti und Roma und andere sogenannte „minderwertige“ Ethnien genauso argumentiert und – schlimmer noch – gehandelt wurde? Haben die beiden auch die Sterilisationskampagne im postkolonialen Indien vergessen, wo es doch nun wirklich nicht gegen Hunger und angebliche Überbevölkerung ging, sondern um die Angst des weißen Mannes/der weißen Frau, irgendwann einmal nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit auf der Erde zu stellen und auch nicht mehr die Elite – und wenn es so wäre, was wäre Schlimmes daran? Einem vernunftbegabten Menschen sind die Religion und/oder Hautfarbe seiner Mitmenschen völlig egal, und genau da treffen anscheinend Frau Böhm und Herr Kohlhammer aufeinander. Frau Böhm labert von Säkularisation und christlichem Fundamentalismus, Herr Kohlhammer will uns weismachen, wir lebten in einem säkularen Staat – mag sein, aber ich denke mal, unsere Wertvorstellungen sind christlich geprägt, wir feiern ja auch christliche Feste wie Weihnachten, und das „C“ in CDU und CSU steht ja nun auch nicht für Creativity oder Cunilingus. Und warum brauchten wir runde 40 Jahre lang in dieser ach so säkularen Welt das Feindbild des Kommunismus und haben jetzt keines mehr nötig? Sind wir durch den Niedergang des Ostblocks auf einen Schlag alle gute, edle DemokratInnen geworden? Dann hätte der Fall des Kommunismus ja wenigstens einen Sinn gehabt! Aber um Himmels Willen – bleiben wir ruhig religiös –, was schreibt uns Herr Seidel-Pielen da mal wieder vor: Er erwähnt doch schon anfangs die Xenophobie, und wenn diese auch nicht explizit auf den Islam oder MuslimInnen gemünzt ist, so zeugt Xenophobie in jedem Falle von einem real existierenden FeindInnenbild und Islamphobie ist kein Vorrecht der Neonazis und weniger gebildeter Kreise der Bevölkerung, sondern wurde von mir gerade bei den sogenannten Intellektuellen beobachtet, den Damen und Herren geht der Arsch auf Grundeis, wenn sie nur das Wort „Islam“ hören, und sie verbinden damit nix als Kopftuch, Körperstrafen und Kreuzzüge.

Es ist merkwürdig, daß Herr Kohlhammer behauptet, westliche Gesellschaften wären nur durch die Säkularisation amoralisch, daß er Tugend, Glauben und Ehre nicht als Interessen gelten lassen will – eine nette Intoleranz –, und seit wann gewähren wir allen unseren Mitmenschen, egal welcher Religion, schon religiöse Freiheiten? Solange sich muslimische Schülerinnen in westlichen Gesellschaften für ihre islamisch definierte Kleidung rechtfertigen müssen, sehe ich keinerlei Toleranz. Außerdem stört es mich, Säkularisation mit Amoralität gleichgesetzt zu sehen, auch ein nicht religiöser Mensch kann sehr strenge Moralvorstellungen und einen sehr hohen oder auch sehr enggefaßten Begriff von Ehre haben. Herr Kohlhammer und sein Rezensent Herr Seidel-Pielen haben eben keine Ahnung, daß gerade in dieser Hinsicht ein Vergleich zwischen Islam und Christentum nicht möglich ist, da es im Islam keine Kirche wie im Christentum gibt, kann auch keine Säkularisation erfolgen, und das Fehlen eines Klerus kann sowohl zu größeren religiösen Freiheiten als auch zu größerer Unterdrückung führen, und bitte: Toleranz haben wir hier doch gegenüber MuslimInnen weiß Gott nicht, und es ist ein ziemlich starkes Stück, ai nur in Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen in Hinsicht auf religiöse Minderheiten in islamischen Staaten zu zitieren, aber nicht die ebenfalls von ai – zum Beispiel in Tunesien – begangenen Menschenrechtsverletzungen an IslamistInnen zu erwähnen, das führt natürlich zu einer Einseitigkeit und beruhigt unser westliches und nichtsdestotrotz christlich geprägtes Gewissen und setzt natürlich die islamischen Staaten von vornherein ins Unrecht, und wir machen einen auf Pontius Pilatus und waschen uns das Blut von den Händen, wenn hierzulande wieder einmal eine Ausländerin – meist islamischer Herkunft – durch Deutsche zu Tode gekommen ist. Na klar, die MuslimInnen wünschen sich nichts so sehr, wie das wir das „Feindbild Islam“ aufrechterhalten, und wir sind so lieb und nett und tun das auch, denn Xenophobie und Islamphobie sind praktizierte christliche Nächstenliebe und wenn's demnächst mal irgendwo wieder brennt, handelt es sich um ein Freudenfeuerchen.

Leider muß ich nun meinen Zynismus ein bißchen bremsen und zur der Kritikerin werden, die laut Herrn Seidel-Pielen in Hinsicht auf die islamische Geschichte auf den Plan treten muß, ich weiß ja nicht, was Herr Kohlhammer gelernt, gelesen, studiert hat, um behaupten zu können, daß sich in der islamischen Welt – auch so'n blöder Ausdruck, wir haben nur eine Welt, und in der müssen wir alle leben und miteinander auskommen – nie ein Denken hinsichtlich unveräußerlicher Rechte aller Menschen hat bilden können. Würde Herr Kohlhammer ein bißchen von der Geschichte des Osmanischen Reiches wissen, dann wäre ihm bekannt, daß dort Menschen aller drei monotheistischen Religionen ganz bestimmte Rechte hatten, die einklagbar und unverletzlich waren, und wenn schon wieder das schöne, tolerante Andalusien hier im negativen Sinne falsch beschrieben herhalten muß, dann möge Herr Kohlhammer auch erwähnen, wie viele Juden und Jüdinnen vor der christlichen Inquisition nach dem Fall von Grenada und der Rechristianisierung des heutigen Portugal 1497 ins Osmanische Reich oder in die islamischen Staaten des Maghreb flüchteten, weil ihnen dort die religiöse Freiheit und Toleranz gewährt wurde, die auf der Iberischen Halbinsel in jener Zeit einfach nicht vorhanden war, dort wurden KetzerInnen jedweder Religion auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und wenn ich an die Brandanschläge in der Bundesrepublik in den letzten Jahren denke, drängt sich mir die Frage auf, ob wir uns wirklich so sehr weiterentwickelt haben in Richtung Säkularisation, Humanismus, Toleranz und anderer menschlicher Tugenden? Es ist schön, wenn Herr Rotter im nebenstehenden Artikel „Und wie die Mär entsteht“ im letzten Absatz klipp und klar feststellt, daß es sich bei der FeindInnenbildproduktion um eurozentristische Arroganz und Rassismus handelt, das beweist, daß es trotz der angeblichen Amoral durch Säkularisation noch Menschen von Moral gibt. [...] Kerstin Witt