Ruandas Opfer sollen für den Völkermord zahlen

■ Internationale Geldgeber verlangen von Ruanda die Rückzahlung der Kredite, mit denen das frühere Hutu-Regime Waffen kaufte und den Genozid finanzierte

Brüssel (taz) – Ruanda steht vor einer Bewährungsprobe. Die Rückkehr von über einer Million Ruander, die in Tansania und Zaire als Flüchtlinge gelebt hatten, führt zu erheblichen ökonomischen Belastungen. Und gerade haben die ersten Prozesse gegen mutmaßliche Mittäter des Völkermords von 1994 begonnen, bei dem über eine Million Angehörige der Tutsi-Minderheit und oppositionelle Hutu getötet worden waren. Zugleich trägt Ruanda an einer Auslandsschuld von einer Milliarde Dollar – Erbe des für den Völkermord verantwortlichen Hutu-Regimes, das 1994 nach Zaire floh und die Macht der heute regierenden Tutsi-dominierten „Ruandischen Patriotischen Front“ (RPF) überließ. Die Gläubiger beharren auf dem Standpunkt, Schulden seien zu zahlen. 1997 wären 55 Millionen Dollar fällig.

Zu 80 Prozent wird Ruandas Auslandsschuld von multilateralen Gebern wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Afrikanischen Entwicklungsbank (ADB) getragen. Die verlangen nun die Rückzahlung, obwohl Ruandas RPF-Regierung bei ihrer Machtübernahme im Sommer 1994 leere Staatskassen vorfand. Die Regierung Ruandas hat daher eine internationale Gruppe von Ökonomen beauftragt, Möglichkeiten zur Schuldenerleichterung zu eruieren. In ihrem vertraulichen Bericht, den die taz einsehen konnte, sind die Ökonomen nun zu dem Schluß gelangt, daß die von der früheren Hutu-Regierung aufgenommen Kredite zum Kauf von Waffen benutzt wurden. So würde eine Schuldenrückzahlung bedeuten, daß die Opfer des Völkermordes für die Waffen der Täter bezahlen müßten.

Wußte die Weltbank, daß ihr Geld in Waffen floß?

Dokumenten zufolge, die die Experten bei der „Banque Nationale du Rwanda“ einsehen konnten, besteht der Großteil der ruandischen Auslandsschuld aus Zuschüssen zum Stopfen der Löcher in der ruandischen Handelsbilanz, die Ruanda im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen zwischen 1990 und 1994 gewährt wurden. Die Weltbank stellte zwar Listen von Gütern auf, deren Einfuhr mit ihren Krediten nicht finanziert werden dürfte – Waffen, Gold und Nuklearprodukte. Aber sie übersah, daß ihre Gelder in Ruanda mit den anderen Finanzmitteln der Regierung zusammengeschmissen wurden, sagt der an der Erstellung des Berichts beteiligte belgische Ökonom Pierre Galand. So kamen die Kredite an Ruanda zwischen 1990 und 1994 der massiven staatlichen Aufrüstung der damaligen Zeit zugute. Nach 1990 wurde die ruandische Armee von 5.000 auf 40.000 Mann vergrößert, von Frankreich, Ägypten und Südafrika wurden schwere Waffen gekauft, und Länder wie Großbritannien lieferten Macheten.

Galand zufolge wußte die Weltbank, daß ihre Ruanda-Kredite dem Waffenkauf dienten. Sie habe sich sogar bei der ruandischen Regierung über das Ausmaß der ruandischen Rüstungsausgaben beschwert, aber auch dann keine Maßnahmen getroffen, als sie Beweise über dubiose Praktiken bei der Buchung ihrer Kredite fand. So stellt sich nun die Frage, ob die Weltbank mit gutem Gewissen heute die Rückzahlung dieser Gelder verlangen kann, während für eine Entschädigung der Opfer des Völkermords kein Geld da ist.

Aber Galand geht noch weiter. „Auch die privaten Banken müssen Verantwortung übernehmen“, sagt der Ökonom. Denn private Geschäftsbanken müssen die Zahlungen für Waffenkäufe abgewickelt haben; in Belgien ist es jedoch den Banken verboten, Buchungen im Zusammenhang mit Rüstungsgeschäften von Ländern im Kriegs- oder Bürgerkriegszustand vorzunehmen. In dem vertraulichen Bericht an Ruandas Regierung steht, daß die belgische Bank „Bruxelles Lambert“ noch einen Monat nach Beginn des Völkermords im April 1994 aus Ruanda eine Überweisung im Zusammenhang mit solchen Geschäften buchte. Auch französische und deutsche Banken werden genannt.

Galand überlegt nun, die entsprechenden Dokumente dem Ruanda-Tribunal der UNO im tansanischen Arusha zu übergeben. Sein Vorschlag an Ruandas Regierung: den Schuldendienst einzustellen und das freiwerdende Geld für Entwicklungsprojekte einzusetzen. François Misser