Montenegro auf Distanz zu Belgrad

Bei der möglichen Wahl zum Staatsoberhaupt der jugoslawischen Föderation ist Milošević auf die Stimmen aus dem Bruderstaat angewiesen. Doch dort wird die Kritik lauter  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Es bröselt und bröckelt in der Machtstruktur des Slobodan Milošević. Angesichts der Demonstrationen der Opposition regen sich Zweifel am Kurs des Präsidenten nicht nur in der orthodoxen Kirche, in der Armee oder der Richterschaft, noch bedeutsamer könnte die Kritik in Montenegro für das Schicksal des serbischen Präsidenten sein.

Erst am Dienstag forderte der montenegrinische Parlamentspräsident Svetozar Marović Serbiens Präsidenten auf, die Empfehlungen der OSZE-Delegation anzunehmen und die Kommunalwahlen in Serbien anzuerkennen. Da diese Empfehlung angesichts der Mehrheit der Exkommunisten im montenegrinischen Parlament wohl nicht ohne das Einverständnis des Präsidenten Momir Bulatović hätte abgegeben werden können und es auch andere Zeichen des Ungehorsams in dem Land der schwarzen Berge gibt, scheint sich dort eine gefährliche Entwicklung für Milošević anzubahnen.

Bisher hatte sich Milošević auf seine Statthalter in dem Bergland, das nördlich bis zum Kosovo und südlich bis zur Adriaküste reicht, verlassen können. Seit dem Herbst 1988, als Milošević serbische Extremisten vor dem Parlamentsgebäude in dem damaligen Titograd, der Hauptstadt Montenegros, aufmarschieren ließ, um die alte Parteiführung aus den Ämtern zu verjagen, hatte er in dem von ihm eingesetzten Momir Bulatović einen verläßlichen Partner, der sich der Politik Serbiens willfährig unterordnete. Zwar gab es innerhalb des mit 600.000 Einwohnern überschaubaren Landes immer wieder Kritik am Kriegskurs des serbischen Präsidenten. So war es für die zivilen Teile der montenegrinischen Gesellschaft durchaus ein Schock, als sie nach 1991 entdecken mußte, daß die Belagerung der Montenegro verbundenen kroatischen Stadt Dubrovnik keine Verteidigungsmaßnahme war, sondern einen Angriffskrieg darstellte. Doch letztlich schaffte es die Parteiführung der Sozialisten immer wieder, die kritische Opposition unter Kontrolle zu halten. Beigetragen hat dazu gewiß, daß nach 1991 mit zeitweise 40.000 serbischen Soldaten eine erhebliche Macht im Lande stand, während die montenegrinischen Rekruten ihren Dienst in Serbien ableisten mußten.

Nach wie vor blieb aber Montenegro ein unsicherer Kantonist Belgrads. Denn innerhalb der Gesellschaft gibt es traditionell zwei Strömungen, die in etwa gleich stark vertreten sind: einerseits die Autonomisten, die für Unabhängigkeit von Serbien plädieren, die sogenannten Grünen; andererseits die Weißen, die für eine enge Anbindung an Serbien eintreten. Vor allem in den östlichen, direkt an Serbien angrenzenden Gebieten sind die Weißen stark. Aus dieser Region stammen Milošević und der bosnsich-serbische Extremistenführer Radovan Karadžić. In den unwegsamen Gebirgsregionen des Zentrums, in denen über Jahrhunderte ein Freiheitskampf gegen alle möglichen Eroberer geführt worden ist, bestehen viele Menschen jedoch weiterhin auf der Unabhängigkeit Montenegros.

Bei einem Besuch im Herbst 1993 erklärte der damalige Parteiführer der Liberalen Partei Montenegros, Slavko Perović, gegenüber der taz, käme die montenegrinische Opposition an die Macht, würde sie sofort die Bindungen zu Belgrad lockern. Ihm schwebte damals eine Konföderation aus Montenegro, Kroatien und Bosnien- Herzegowina vor. Perusić damals wörtlich: „Die stalinistisch-faschistische Politik Miloševićs reißt Montenegro zusammen mit Serbien in den Abgrund.“ Zwar würde heute nach Beendigung des Krieges in Bosnien und Kroatien wohl kaum jemand die Verwirklichung einer Konföderation Montenegros mit diesen beiden Staaten als eine realistische Möglichkeit ansehen, so zeigt das Argument doch, daß die montenegrinische Opposition sich vehement gegen die serbische Kriegspolitik stellte.

Selbst in der Bulatović-Führung gab es immer wieder kritische Stimmen angesichts der Tatsache, daß Milošević als serbischer Präsident – also nicht als Präsident der Föderation Jugoslawien (Serbien- Montenegro) – außenpolitisch auch für Montenegro sprach. Erst jetzt strebt Milošević die Präsident schaft in der Föderation an. Seine zweite Amtszeit als serbischer Präsident läuft nämlich im Frühjahr aus, und eine Wiederwahl ist laut Verfassung nicht möglich. Im Juni, so der Plan, wollte er sich vom Föderationsparlament zum jugoslawischen Präsidenten wählen lassen.

Angesichts dieser Konstellation kommt den montenegrinischen Stimmen im gemeinsamen Parlament große Bedeutung zu. Und damit auch der jetzt sichtbaren Absetzbewegung seiner Vasallen aus Montenegro. Ließen die ihn zu diesem Zeitpunkt endgültig fallen, wäre ihm die legale Machtbasis genommen. Dann hätte Milošević nur noch die Möglichkeit, die Verfassung außer Kraft zu setzen. Doch das könnte auch in dem bisher ruhigen Montenegro zu einer Revolte führen.