20 Prozent Umsatz nach sechs

Seit zwei Monaten Einkaufen bis acht Uhr: Lange Gesichter macht nur das Personal. Der Kunde fühlt sich gern als König, hält aber sein Geld beisammen  ■ Von Klemens Vogel

Klingeln in ihrem Teller die Groschen, ist Shopping-Prime- time in den Friedrichstadtpassagen: Denn Eveline Hopfmann hegt und pflegt die dortigen Bedürfnisanstalten und kann in dieser zentralen Position zuverlässig den Kaufrauschpegel einschätzen. „Ab 19 Uhr ist meist nur noch vereinzelt Kundenverkehr“, berichtet die Expertin in Sachen Konsumentenströme und fischt ein paar Münzen aus dem Teller. Auch in der Chefetage über ihr kann man sich allenfalls über ein wenig Kleingeld freuen – trotz der verlängerten Öffnungszeit verzeichnet der Einzelhandel keine Umsatzzuwächse.

Das Zauberwort heißt Umverteilung: Es wird nicht mehr gekauft, aber der abendliche Einkaufsbummel ist für viele durchaus attraktiv. „Gerade junge Leute nutzen diese Zeit zum Einkaufen“, ist die Erkenntnis von Kaiser's- Vorstand Hans-Hugo Lavallee, und im Kaufhaus des Westens (KaDeWe) werden in der Zeit von 18.30 bis 20 Uhr 15 bis 20 Prozent des Tagesumsatzes erwirtschaftet. Sowohl KaDeWe-Geschäftsleiter Ulrich Schmidt als auch Petula Hassert vom Kaufhof am Alex sehen die verlängerten Öffnungszeiten als unverzichtbaren Kundenservice. Wobei im Warenhaus unter dem Fernsehturm der Donnerstag fast so beliebt ist wie eh und je: „Der Verbraucher hat eben seine Gewohnheiten“, so Vizegeschäftsführerin Hassert.

Ihre Gewohnheiten hat auch die Belegschaft im Einzelhandel, doch da fordern die neuen Arbeitszeiten ihren Tribut: Um 20 Uhr erst Feierabend – da kann es mit dem Theater oder dem Kino schon mal knapp werden. „Durchschnittlich eine Stunde weniger Freizeit – von mir aus könnte der Ladenschluß wieder rückgängig gemacht werden“, beschwert sich Thomas Raschke vom Musikmarkt in Mitte. Das Dilemma der kleinen Läden: mehr Arbeit für die gleiche Anzahl von Leuten. Ausgeklügelte Gleitzeitsysteme oder die Viertagewoche, wie sie viele Großanbieter praktizieren, kommen hier ebensowenig in Frage wie Neueinstellungen. „Die Umsätze sind nicht in die Höhe gegangen“, bestätigt auch Raschke den Einzelhandelstenor. Ein saurer Apfel, doch man arrangiert sich irgendwie: „Ich habe diesen Job gewählt, da muß ich mich auf die veränderte Situation einstellen“, versichert tapfer Karla Bartels von der Buchhandlung Kiepert Stadtmitte.

Die Spätkaufläden allerdings, früher die Monopolisten nach sechs, müssen nicht befürchten, daß ihnen das Wasser abgegraben wird. „Durch den neuen Ladenschluß habe ich keine Umsatzeinbußen“, versichert Dirk Laßner, late night dealer in Prenzlberg.

So geht das Nullsummenspiel auf: keine Zuwächse beim konventionellen Einzelhandel, keine Verluste bei den Abendverkaufsstellen. Nutznießer des erweiterten Zeitrahmens sind zweifellos die Kunden, wobei das Personal oftmals als Verlierer dasteht. Arbeitnehmervertreter Manfred Birkhahn, Landesbezirksvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), rät jedoch bezüglich der Arbeitszeitregelungen zu einer differenzierten Sichtweise: „In einigen Großbetrieben, zum Beispiel beim KaDeWe, wurden gute Kompensationsformen geschaffen. Die Zufriedenheit der Belegschaft ist dort hoch.“ Anders sehe es hingegen in den kleinen Betrieben aus. Dort müsse das Personal oft zehn Stunden täglich im Laden stehen. Die Mehrarbeit werde meist stillschweigend akzeptiert, da die Menschen um ihren Arbeitsplatz fürchteten. Prinzipiell will Birkhahn die neue Regelung jedoch nicht verdammen: „Wir argumentieren als Gewerkschaft nicht gegen Kundenwünsche.“

Im Spätkaufbusineß in Prenzlberg pflegt man indes eine ganz eigene Meinung zum verlängerten Ladenschluß: „Die Wessis denken, daß se dat Fahrrad zum zweitenmal erfunden haben“, schimpft Ladenbesitzer Laßner. Die Spätkäufe als abendliche Einkaufsmöglichkeit habe es zu DDR-Zeiten längst gegeben. Nach der Wiedervereinigung brach zunächst ein harter Kampf um die Konzession aus. Jetzt komme man plötzlich auf die Idee, den Ladenschluß allgemein raufzusetzen. Und wenn sich die Entwicklung fortsetzt? Amerikanische Verhältnisse befürchtet Laßner dann: „Wenn meine Frau irgenwann um ein Uhr nachts bei Hertie an der Kasse steht – dann gute Nacht!“ Klemens Vogel